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auch mildere seiten darbot, immer eine empfindbare herbe
hinterblieb, richten wir den blick auf tugenden und vor-
züge, die das alter mit andern lebensstufen noch gemein
hat, oder die ihm sogar als eigen zuerkannt werden mö-
gen. jene vorstellung eines müden, ohnmächtigen, harten,
unseligen alters wird sich umbilden in ein bild von linde,
milde, behagen, mut und arbeitslust, das ist die lenis,
placıda, fortis senectus.
Und wie selbst einfallende gesichtszüge sich noch
veredeln, früher unbemerkte ähnlichkeiten mit den vor-
eltern erst jetzt heraustreten lassen, weshalb es auch
wohl heiszt, dasz alte leute manchmal schöner werden als
sie vorher waren; ebenso müssen wir ihnen auch zuge-
stehn, dasz der lange verkehr des durchlaufenen lebens
sie aufgeheitert, feiner gemacht, eine freundliche und lieb-
reiche, keine verdrossene stimmung der seele hervorge-
bracht haben kann, von unsern nachbarn über dem Rhein
gilt für ausgemacht, seien sie schon als junge leute brau-
send, anmaszend und oft unleidlich, so gebe es doch kei-
nen angenehmeren, liebenswürdigeren gesellschafter als
einen ins alter eingetretenen Franzosen, der fortan un-
vergleichlichen tact mit der gutmütigsten aufmerksamkeit
zu verbinden wisse und überall vergnügend anrege.
Vorhin schon wurde aufgestellt, dasz im alter mit
der sinkenden. lebenskraft sich zugleich die empfindung
der gesundheit erhöhe, und das ist kein widerspruch, da
bei allem was seinem verlust entgegen geht ein geheimer
und glücklicher trieb waltet es bis zur letzten frist zu si-
chern und aufrecht zu erhalten. man darf weiter sagen,
dasz in greisen das gefühl für die natur steige und voll-
kommner werde als es im vorausgehenden leben war und
dasz alles sie zum sicheren verkehr mit dieser stillen und
fesselnden gewalt dränge oder anweise. mit welcher an-