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Mädchen, nahm die Spindel, und wollte auch spinnen. Kaum
hatte sie aber die Spindel angerührt, so gieng der Zauberspruch
in Erfüllung, und sie stach sich damit.
In dem Augenblicke aber, wo sie den Stich empfand, fiel
sie auch nieder in einen tiefen Schlaf. Und dieser Schlaf verbrei
tete sich über das ganze Schloß: der König und die Königin, die
eben heim gekommen waren, fiengen an einzuschlafen, und der
ganze Hofstaat mit ihnen. Da schliefen auch die Pferde im Stall
ein, die Hunde im Hofe, die Tauben aus dem Dache, die Fliegen
an der Wand, ja, das Feuer, das auf dem Heerde flackerte, ward
still und schlief ein, und der Braten hörte aus zu brutzeln, und der
Koch, der den Küchenjungen, weil er etwas versehen hatte, in den
Haaren ziehen wollte, ließ ihn los, und schlief. Und der Wind
legte sich, und auf den Bäumen vor dem Schloß regte sich kein
Blättchen mehr.
Rings um das Schloß aber begann eine Dornenhecke zu wach
sen, die jedes Jahr höher ward, und endlich das ganze Schloß
umzog, und darüber hinaus wuchs, daß gar nichts mehr, selbst
nicht die Fahnen auf den Dächern, zu sehen war. Es gieng aber
die Sage in dem Land von dem schönen schlafenden Dornröschen,
denn so wurde die Königstochter genannt, also daß von Zeit zu
Zeit Königssöhne kamen, und durch die Hecke in das Schloß drin
gen wollten. Es war ihnen aber nicht möglich, denn die Aeste,
als hätten sie Hände, hielten sich zusammen, und die Jünglinge
blieben in den Dornen hängen, und starben jämmerlich. Nach
langen langen Jahren kam wieder einmal ein Königssohn durch