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und Rudolf übernimmt die leitung des kriegs. doch die unverträglichkeit beider kommt
zum ausbruch. Rudolf, der einen so glühenden eifer für die erhaltung des christlichen
reichs zeigte, und eine hauptstütze desselben zu werden versprach, verläfßst Jerusalem, und
begibt sich an den hof des heidnischen königs, dessen schöne tochter ihn dort fefselt. in
Halaps diensten kämpft. er bei dem abermals ausbrechenden krieg siegreich gegen seine
glaubensgenofsen: aber jetzt ereilen ihn schwere geschicke. wie sich die verschlungenen
greignisse entwirren, wie er seine schuld abbüfst, das erfahren wir aus den bruchstücken
nicht: aber man darf annehmen dafs ein so gut eingeleitetes und fortgeführtes gedicht
auch einen angemefsenen schlufs gehabt habe. auf der einfachen grundlage erheben sich
mannigfaltige, mit dem {rischesten leben ausgestattete bilder. die heimliche sehnsucht des
kindlichen herzens, das aufblühen des jünglings, sein erster kampf, die belagerung von
Scalun, die angstvolle flucht aus dem gefängnis, die rettung des halbverschmachteten durch
das gefundene brot und den wein des pilgers, die wiedervereinigung der liebenden zu
Constantinopel: das alles hat der dichter mit kraft und anmut, dabei immer mit wahrheit
und ruhiger sicherheit geschildert. man fühlt dafs ihm die tiefen der menschlichen seele
nicht unbekannt geblieben sind. wir begegnen tüchtigen, menschlichen verirrungen unter—
worfenen, aber, wie es der poesie ziemt, gehobenen charakteren. man betrachte nur die
stahlkraft des helden, der, wenn auch abtrünnig, doch im heftigsten kampf nur mit flachem
schwert auf die christen schlägt, oder die liebesglut der heidnischen frau, die in den sinn—
lichsten schilderungen nicht verletzt, oder die innigkeit und wechselseitige treue zwischen
Rudolf und Bonifait. wie gesund ist überall die gesinnung: noch zeigt sich keine spur
von dem phantastischen ritterthum oder dem übertriebenen minnedienst des dreizehnten
jahrhunderts: noch herrscht das natürliche in allen verhältnissen. der dichter hat die grau-
samkeit der christen gegen die besiegten heiden, die in jener zeit als eine pflicht betrach—
tet wurde (man vergleiche die einleitung zu dem Rolandslied CXXV. CXXVI), ungemildert
dargestellt: aber das hindert ihn nicht den heidnischen anführer in dem günstigsten licht
zu zeigen, und als einen mann zu schildern, der auf der bank der ehren zu sitzen verdiene.
Durch die geschichtliche haltung gewinnt das ganze eine höhere bedeutung, und er-
hebt sich aus dem engen kreifs einer blofßsen erzählung. es ist nicht gleichgültig, dafs der
held als ein graf aus Flandern auftritt, die fortgesetzte theilnahme dieses mächtigen, dem
stamme Gottfrieds von Bouillon verbundenen hauses an den kreuzzügen war bekannt. der
pabst selbst billigt den entschlufs des knaben, und fordert das volk in öffentlicher versamm—
lung auf ihm zu folgen, damit die handlung nicht vereinzelt, sondern in der reihe der
grofsen, die welt damals bewegenden ereignisse erscheine. der deutsche kaiser und seine
majestät leuchtet zwar nur aus der ferne, aber er wirkt doch auf den gang der begeben-
heiten. wie überhaupt der hintergrund, das landschaftliche des gedichts und sein weiter
horizont der wahrheit entspreche habe ich schon oben (s. 40. 41) im einzelnen nachgewiesen.
nicht das aufserordentliche, wol aber alles wunderbare und übernatürliche war durch diese
auffalsung abgewiesen.