Full text: Graf Rudolf

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daheim nicht erzählen was sie zu Scalun gesehen haben. ich sage euch, noch manchen 
heiden will ich in trauer versetzen bevor ich erschlagen werde oder von hinnen ziehe.’ 
Indessen sind in Scalun alle heiden umgekommen, nur die frauen sind noch übrig. 
man schneidet ihnen die langen haare ab, und stellt sie in der kleidung der männer auf 
die zinnen. Girabobe ruft von der burg herab ‘schaut, herr graf, wie rühmlich wir unsere 
mauern vertheidigt haben. diese jungen helden werden, wenn sie zum kampf kommen, 
mit ihren scharfen schwertern tapfer drein schlagen.” eine solche list war dem geist jener 
zeit nicht fremd. die Kaiserchronik (91) erzählt wie Karl der grofse nach dem verlust 
aller männer auf gottes geheifs ein heer aus verkleideten jungfrauen bildet, dem die heiden 
voll schrecken sich ergeben. als der christliche König das volk auf den zinnen erblickt, 
spricht er ‘ich höre grofsen lärm, ich glaube der Antichrist ist ihnen zu hilfe gekommen; 
deshalb sind sie so übermütig. wir müfsen mit ihnen kämpfen.” und weil er wähnt dafs 
so viele junge männer sich nur deshalb in die stadt eingeschlichen haben, weil die thore 
schlecht bewacht waren, so ertheilt er dem heergrafen befehl die. hüter zu greifen 
ınd aufzuhängen. 
Rudolf will jetzt von der mauer zurückgehen: der kluge Girabobe hält ihn zurück. 
ei dem grofsen verlust von beiden seiten, meint er, müfse jedem theil der friede erwünscht 
sein. er selbst kümmre sich nicht um das wilde volk, das am rande des meeres seine 
heimat habe, nur nach blut dürste, und des lebens nicht achte. der graf verspricht diesen 
vorschlag, mit dem er innerlich sehr zufrieden ist, dem könige vorzutragen, und ihm dessen 
antscheidung morgen mit dem frühsten kund zu thun. der graf begibt sich zu dem könige, 
der ihn freundlich empfängt. Rudolf sagt ihm er sei zu dem graben gegangen um ihn zu 
„esichtigen, da habe Girabobe frieden zu schliefsen verlangt. der könig zweifelt, aber 
Rudolf versichert ihn dafs es sich so verhalte. hierauf vernimmt der könig den rath seiner 
getreuen, und der friede wird geschlofsen. der könig kehrt mit seinem volk nach Jeru- 
salem zurück, wo ihn der patriarch von Bethlehem, die cardinäle und alle bewohner 
‚eierlich mit fahnen und gesang empfangen. nach dem einzug bringen die herrn gott 
ein opfer. 
Wohin Rudolf sich begibt wird nicht gesagt. mit dem könige zurück in die stadt 
Jerusalem ist er nicht gegangen, das erhellt daraus, dals bald nachher ein bote des königs 
an ihn abgesendet wird, der ihn dorthin entbietet.. ‘du mulfst warten, es ist zu weit, spricht 
der graf, “ich will hinreiten.” als er angelangt ist, wird er in dem palast des königs ehrenvoll 
empfangen, und hingeführt wo der könig mit seinen fürsten sitzt. schönheit freudigkeit 
edle gesinnung des helden werden bei dieser gelegenheit gerühmt; heimlich blicken die 
frauen nach ihm. der könig empfängt ihn liebreich, und heifst ihn an seiner seite nieder— 
sitzen. er kennt die klugheit und den verstand des jünglings. fremdartig ist sein wesen 
in Jerusalem, aber fein seine sitte, edel sein hetragen gegen vornehme und geringe. 
“Rudolf”, spricht der könig, ‘dir ist wol bekannt in welchen ehren der römische kai- 
ser steht.“ trägt er die krone, so feiert er ein fest. ein weites zelt ist auf dem felde
	        
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