i53 Erläuterung der althochdeutschen Subst. Declin.
9) Eine bedeutende Verschiedenheit von dem Gothischen liegt
in dem Nom. Pl. Neutr. starker Deel, welcher hier in der
ersten stets, in der zweiten meistentheils * •*) ) dem Nom.
Sing. gleichlautet. Der zehnten allgemeinen Regel zufolge,
sollte dieser Pl. Neutr. im Alt-Hochdeutschen auf a, oder
mit Berücksichtigung der Adjectivform auf u endigen. (In
den nordischen Sprachen finden wir zwar dieselbe Gleich
heit beider Casus im Sing. und Pl., nur ist sie da wirk
lich folgerecht, weil der Nom. Sing. Femin. ebenfalls
des Vocalausgangs entbehrt.) Und in der zweiten Deck.
sehen wir allerdings die Endungen auf i bei einigen Schrift
stcllern den Pl. auf u bilden. Die gewöhnliche und zu
mal in der ersten Deck. allein gültige Form (wort)
läßt sich etwa so entschuldigen: die Sprache mied die Aus
gänge auf a und u wegen ihrer Achnlichkcit mit dem Nom.
Pl., Masc. und Dat Sing. Mast. und Neutrum. Daß
aber früherhin auch in der ersten neutralen Decl. der Pl.
auf u geendet zu haben scheint, folgt aus der vorangehen
den fünften Erl. bei der Analogie der weiblichen No>n.
Sing.
ro) Noch merkwürdiger sind die Plurale Neutr. auf ir
und diese der hochdeutschen Sprache so eigenthümliche Er
scheinung ist der gothischen und nordischen durchaus fremd,
aber in allen niederdeutschen Stämmen, wenn gleich
schwächer, zu spüren. Während das hochdeutsche Mascul.
. im Plur. die frühere Vollkommenheit seiner Consonantaus-
gänge (seyen sie nun auf s oder r gewesen) fahren läßt,
stellt das an sich geringere Neutrum diesen Pl. in ir auf,
ja cs ist für den historischen Gcsichtspunct besonders wich
tig, daß sich im Verlauf der Zeit, wo alle andere Decli
nationsendungen abgestumpft werden, und abnehmen, die
Vorneigung der hochdeutschen Decl. zu diesem ir (er)
immer erhöht, und sogar in der heutigen Sprache aus
dem Neutr. in das Masc. hinübergegriffen hat. Es läßt
sich inzwischen leicht erkennen, daß dieser Plural des Neu
trums auf ir nicht sowohl für eine bloße Nominaliven-
dung, sondern vielmehr eine anomale Erweiterung des
ganzen Plurals überhaupt zu halten, folglich den männ
lichen oder weiblichen Ausgängen des Nom. Plur. andrer
Sprachsiämme auf ar oder ir garnicht zu vergleichen sey*).
•) Dies ist einer von den Fällen, woraus die Nützlichkeit einer
Trennung zwischen der ersten und zweiten Declination über-
Haupt hervorgeht.
•*) Adelung §. »83. irrt hier völlig. Er spricht diesen Plural vor
zugsweise der oberdeutschen Mundart ab und der nicderdeut-