XVIII
Ich hätte mich auf die Untersuchung der uns in Deutsche
land zunächst liegende» Ueberbieibsel der althochdeutschen
Mundart, für deren sicheres Verständniß eine feste, gram
matische Behandlungsart nicht blos wünschenswerth, sondern
unerläßlich war, beschränken können und vielleicht zu mei
nem Vortheil. Inzwischen stand mir bald vor Augen, baß
ohne das Gothische als Grundlage überhaupt nichts auszu
richten wäre und selbst die Anknüpfung der Sprache, wie
sie von den hochdeutschen Dichtern des dreizehnten Jahrbun-
derts geredet worden, an unsre heutige mislingen wurde,
wo nicht die Einflüsse der niederdeutschen Mundart in den
Anschlag kamen. Es mußte folglich auf altere Quellen des
Niederdeutschen: sächsische, anglische und friesische Bedacht
genommen werden, woran sich wiederum die nordischen,
ohnedem in Absicht auf unverkümmerte, freie Entfaltung
voraus gesegneten Sprachen von selbst fügten. Der Erfolg
scheint mir bewährt zu haben, daß keine einzige dieser viel
fachen Mundarten des großen deutschen Stammes ohne merk
lichen Nachtheil des Ganzen hätte außer Acht gelassen wer
den dürfen.
Verführerischer war die Vergleichung der fremden, gleich
wohl unleugbare Urgemeinschaft verrathenden Sprachen. Hak
man einmal bis zu einem gewissen Punct fort untersucht,
so wird es schwer einzuhalten und sich nicht noch weiter zu
wagen. Indessen war mir zu wenig Raum vergönnt, um
meine Vorstellung von dem großen Zusammenhang beinahe
aller europäischen Zungen untereinander und mit einigen
asiatischen vorzulegen; blos einzelnes ist hin und wieder,
und zwar das meiste bei der Conjugation mehr angedeutet,
als ausgeführt worden. An der genauen Ausführung liegt
jedoch eben die Hauptsache, da man über das Allgemeine,
namentlich die Bevölkerung Europa's durch verschiedene auf
einander aus Asien eingewanderte und mit den dort verblie
benen Persern und Indiern näher, als diese mit andern
Asiaten sind, verwandte Völkcrstämme längst im Reinen war.
Auch ist meine Kenntniß von dem größten Theil dieser frem
den Sprachen zu mangelhaft, als daß ich oft, geschweige
überall ins Einzelne hätte gehen dürfen. Unterdessen hat
Rafts treffliche, mir erst beinahe nach der Beendigung die
ses Buchs zugekommene Prcisschrift *) weitreichende Auf
schlüsse über die vielseitige Berührung der deutschen mit den
lettischen, slavischen, griechischen und lateinischen Sprachen
*) Undersögelse cm det gamle Nordiökc elter Jslandske SprogS
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