Full text: Deutsche Grammatik (Erster Theil (Erster Teilband))

XVI 
vorzüglich Homers, rein zu bewahren, herzustellen und zu erläm 
lern. Ihre Scholien schreiten häufig in zuweitgecricbene 
Spitzfindigkeiten aus, allein sie enthalten einen Schatz von 
Bemerkungen, ohne welche der Nachwelt vieles von dem 
Wort und Sinn der Quellen rathftlhaft geblieben seyn würde 
und das ist eine gute Weise, wie man die Denkmäler der 
Vorzeit ehren soll durch unverrückte Fcsihaltung ihrer Ge 
stalt und Erklärung ihrer Dunkelheiten, nicht durch unwür 
diges Abändern und Erneuern. Auch kann cs keine andere 
praktische Richtung der Critik geben, als die in bas Wesen 
jedes einzelnen Schriftstellers zu bringen und ihn von den 
Flecken fehlerhafter Abschriften zu säubern sucht; nicht eine 
solche, die aus ihm oder aus mchrern allgemeine Gesetze 
für die übrigen, sogar für die Sprache der späteren Zeit 
überhaupt ziehen möchte. Den griechischen Scholiasten man 
gelt eigentlich nur der historische Maaßstab, sonst würben sie 
vollendetere Arbeiten geliefert und sich vor Abwegen gehütet 
haben, die sie kaum umgehen konnten. Bei den lateinischen 
Grammatikern, von Donat und Priscian an zu rechnen, hat 
sich schon mehr gesondert, was zu der bloßen Betrachtung 
der Sprache gehört und was die übrigen Theile der Critik 
befaßt. Das Verhältniß war aber auch ganz ein anderes. 
Die Sprache hatte sich nicht natürlich, sondern gewaltsam 
und plötzlich gesenkt, sie war ausgestvrben, weil die rohe 
Verwirrung der romanischen Mundarten kaum noch als ihre 
Fortsetzung betrachtet werden konnte; die dringendste Sorge 
mußte sich auf die Ergründung ihres inneren Baues aus 
den bewährten Quellen der alten Zeit wenden. Diese Män 
ner, welche mit Belesenheit und nicht ohne Scharfsinn die 
Aufgabe lösten, aus der lateinischen Sprache eine Schul 
sprache zu machen, sind die Stifter der neueren Grammatik, 
vielmehr die Urheber der meisten bis jetzo gültigen gramma 
tischen Terminologien geworden. Die heutigen Grammatiker 
sollten die Genauigkeit der lateinischen mit dem weiteren 
Blick der griechischen zu vereinigen streben, und sich vor 
allem des Vortheils bedienen, der ihnen durch die unverhält- 
nißmäßige Erleichterung der historischen Richtung fast von 
selbst in die Hand gegeben ist. 
Man muß sich wundern, wie unhistorisch die neueren 
Sprachen alle und zumal die des deutschen Stammes be 
handelt worden sind. Eine Fülle von Denkmälern war uns 
verliehen, und seit vier Jahrhunderten gebrach es weder an 
Liebhabern noch an Herausgebern wenigstens der ältesten und 
ehrwürdigsten darunter. Die Kenntniß der Wurzeln ver 
vollkommnete sich zwar, aber die Grammatik selbst blieb be 
ständig zurück; wer die alten Quellen untersuchen konnte,
	        
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