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vorzüglich Homers, rein zu bewahren, herzustellen und zu erläm
lern. Ihre Scholien schreiten häufig in zuweitgecricbene
Spitzfindigkeiten aus, allein sie enthalten einen Schatz von
Bemerkungen, ohne welche der Nachwelt vieles von dem
Wort und Sinn der Quellen rathftlhaft geblieben seyn würde
und das ist eine gute Weise, wie man die Denkmäler der
Vorzeit ehren soll durch unverrückte Fcsihaltung ihrer Ge
stalt und Erklärung ihrer Dunkelheiten, nicht durch unwür
diges Abändern und Erneuern. Auch kann cs keine andere
praktische Richtung der Critik geben, als die in bas Wesen
jedes einzelnen Schriftstellers zu bringen und ihn von den
Flecken fehlerhafter Abschriften zu säubern sucht; nicht eine
solche, die aus ihm oder aus mchrern allgemeine Gesetze
für die übrigen, sogar für die Sprache der späteren Zeit
überhaupt ziehen möchte. Den griechischen Scholiasten man
gelt eigentlich nur der historische Maaßstab, sonst würben sie
vollendetere Arbeiten geliefert und sich vor Abwegen gehütet
haben, die sie kaum umgehen konnten. Bei den lateinischen
Grammatikern, von Donat und Priscian an zu rechnen, hat
sich schon mehr gesondert, was zu der bloßen Betrachtung
der Sprache gehört und was die übrigen Theile der Critik
befaßt. Das Verhältniß war aber auch ganz ein anderes.
Die Sprache hatte sich nicht natürlich, sondern gewaltsam
und plötzlich gesenkt, sie war ausgestvrben, weil die rohe
Verwirrung der romanischen Mundarten kaum noch als ihre
Fortsetzung betrachtet werden konnte; die dringendste Sorge
mußte sich auf die Ergründung ihres inneren Baues aus
den bewährten Quellen der alten Zeit wenden. Diese Män
ner, welche mit Belesenheit und nicht ohne Scharfsinn die
Aufgabe lösten, aus der lateinischen Sprache eine Schul
sprache zu machen, sind die Stifter der neueren Grammatik,
vielmehr die Urheber der meisten bis jetzo gültigen gramma
tischen Terminologien geworden. Die heutigen Grammatiker
sollten die Genauigkeit der lateinischen mit dem weiteren
Blick der griechischen zu vereinigen streben, und sich vor
allem des Vortheils bedienen, der ihnen durch die unverhält-
nißmäßige Erleichterung der historischen Richtung fast von
selbst in die Hand gegeben ist.
Man muß sich wundern, wie unhistorisch die neueren
Sprachen alle und zumal die des deutschen Stammes be
handelt worden sind. Eine Fülle von Denkmälern war uns
verliehen, und seit vier Jahrhunderten gebrach es weder an
Liebhabern noch an Herausgebern wenigstens der ältesten und
ehrwürdigsten darunter. Die Kenntniß der Wurzeln ver
vollkommnete sich zwar, aber die Grammatik selbst blieb be
ständig zurück; wer die alten Quellen untersuchen konnte,