Full text: Kasseler Dichterbuch

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Ihr bleibt vor Erregung der Atem stocken — 
Bald die mittlere Glocke beginnt sich zu regen 
Und läutet hinaus nun den Abendsegen. 
Das Angelus domini dieselbe singt, 
Von der auch morgens die Mette erklingt. 
Sie betet den Segen aus Herzensgrund; 
Doch kaum verstummt der eherne Mund, 
Da hat sie das Röcklein schon abgestreift, 
Schnell hin zur mittleren Glocke sie läuft. 
Und eins — zwei —; drei — um den Klöppel sie wand 
Den wollenen Rock fest mit dem Schürzenband, 
Dann sinkt sie nieder und faltet die Hände: 
„O Herr, führe alles zum guten Ende 
Und rette ihn, dem nur ob Minnepflicht 
Der Freimann wohl morgen den Sünderstab bricht." 
Und sie kauert sich nieder — sie kann nicht hinaus — 
Zum Angelus schließt man das Gotteshaus. 
Und Stunde um Stunde vorüberrinnt, 
Und qualvoll sie harrt, und zitternd sie sinnt — 
Da frühlichtet's schon im Dämmerschein, 
Sie höret unten schon Lärmen und Schrein 
Und Kettengerassel, Kommandowort: 
„Allmächtiger Himmel, sie führen ihn fort, 
Und wenn sie ihm dennoch den Tod bereiten 
Und warten nicht auf das Glockenläuten?" — 
Da regt sich der Strick, und die Glocke schwingt, 
Und der Klöppel schlügt an, doch kein Ton erklingt, 
Und stärker zerrt man am Glockenstrang — 
Doch immer noch kein Läuten klang. 
Da hört sie Laufen und angstvollen Schrei: 
„Alle guten Geister! 's ist Hererei!" 
Und unten am Kirchplatz der Delinquent, 
Der fallet zum letzten Ave die Händ', 
Da hört er das Lärmen und bangvolle Schrein, 
Aus dem Turme der Glöckner jetzt wankt allein: 
„Die Elock' ist verzaubert — Gott steh' uns bei! 
Der Hexenmeister ist vogelfrei."
	        
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