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„Meine Mutter ist tot, hab' kaum sie gekannt;
Doch stammte sie hier aus dem Neckarland."
Der Fürst atmet schwer. — „Es ist ihr Sohn,
Die einst mir geschenkt süßer Minne Lohn.
Wie hat sie geweint, als ich sie verließ,
Doch weher noch brennt zur Stunde mir dies,
Daß ich ihr soll richten den eigenen Sohn,
Das ist schnöder Tat vergeltender Lohn.
Und doch — so heischt's die gebietende Pflicht:
Das Recht über alles! Doch leicht wird mir's nicht. —
Dir sei zur Beichte noch Zeit vergönnt,
Bis morgen zur Mette die Frühglocke tönt,
Dann soll dich der Freimann am Halse büßen,
Wer Blut vergoß, des Blut soll wieder fließen."
Er hat es gesagt — sie stehen gebannt —
Das blasse Mägdlein hebt flehend die Hand
Und ist vor dem Fürsten zu Boden geglitten,
Doch der ist klirrend hinausgeschritten. —
Sie führen ihn fort in ihrer Mitt,
Der auch jetzt noch geht mit stolzem Schritt,
Und scheu, wie vor einer verseuchten Leichen
Sie vor dem Dirnlein zur Seite weichen,
Das keinem doch ein Leides gefügt
Und wimmernd allein nun am Boden liegt.
„Wenn die Frühglocke tönt — weh — die Frist ist knapp,
Denn schon naht der Abend, dann tun sie ihn ab.
Und wenn sie nicht tönt — könnt' ein Wunder es
lenken,
Dann müßt' ihn Ott Heinrich zurück mir schenken."
Und schon hat sie vom Boden sich aufgerafft
Und schnellt zur Höh', alle Glieder gestrafft,
Und schon fliegt sie zur Kirche, zum offenen Turm
Und die Stiege hinauf, wie getragen vom Sturm,
Und die Leitern, die langen, schier ohne Ende
„Gib Gott, daß die Falltür noch offen stände!"
Und sie findet sie offen, und da sind die Glocken —