Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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78. Ter Schwanritter. 
Der Herzog Gottfried von Brabant war gestorben, ohne männliche 
Leibeserben zu hinterlassen; er hatte aber in einer Urkunde bestimmt, 
daß sein Land der Herzogin und seiner Tochter verbleiben sollte. Hieran 
kehrte sich jedoch Gottfrieds Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen, 
wenig, sondern bemächtigte sich, aller Klagen der Witwe und der Waise 
unerachtet, des Landes, das ja nach deutschem Rechte ans keine Weiber 
forterben könne. 
Die Herzogin beschloß daher, bei dem Könige zu klagen, und als 
bald darauf Karl nach Niederland zog und einen Reichstag zu Neumagen 
am Rhein halten wollte, kam sie mit ihrer Tochter dahin und begehrte 
Recht. Dahin war auch der Sachsenherzog gekommen, um sich zu ver 
antworten. Es ereignete sich aber, daß der König durch ein Fenster 
schaute; da erblickte er einen weißen Schwan, der schwamm den Rhein 
herab und zog an einer silbernen Kette, die hell glänzte, ein Schifflein 
nach sich. In dem Schiffe aber ruhte ein schlafender Ritter, sein Schild 
war sein Hanptkissen, und neben ihm lagen Helm und Halsberg; der 
Schwan steuerte gleich einem geschickten Seemann und brachte sein Schiff 
an das Gestade. Karl und der ganze Hof verwunderte sich höchlich über 
dieses seltsame Ereignis; jedermann vergaß der Klage der Frauen und 
lief hinab dem Ufer zu. Unterdessen war der Ritter erwacht und stieg 
aus der Barke; wohl und herrlich empfing ihn der König, nahm ihn 
selbst bei der Hand und führte ihn gegen die Burg. Da sprach der junge 
Held zu dem Vogel: „Flieg deinen Weg wohl, lieber Schwan! Wenn 
ich deiner wieder bedarf, will ich dich schon rufen." Sogleich schwang 
sich der Schwan ans und fuhr mit dem Schifflein aus aller Augen 
hinweg. Jedermann schaute den fremden Gast neugierig an, Karl ging 
wieder auf seinen Richterstuhl und wies jenem eine Stelle unter den 
andern Fürsten an. 
Die Herzogin von Brabant zur Seite ihrer schönen Tochter hub 
nunmehr ausführlich zu klagen an, und hernach verteidigte sich auch der 
Herzog von Sachsen. Endlich erbot er sich zum Kampfe für sein Recht; 
die Herzogin solle ihm einen Gegner stellen, um das ihrige zu bewähren. 
Da erschrak sie heftig; denn er war ein auserwählter Held, an den, wie 
sie fürchtete, sich niemand wagen würde. Vergebens ließ sie im ganzen 
Saale die Augen herumgehen, keiner war da, der sich erboten hätte. 
Ihre Tochter klagte laut und weinte; da erhob sich der Ritter, den der 
Schwan ins Land geführt hatte, und gelobte, ihr Kämpfer zu sein. Hier 
auf rüstete man sich von beiden Seiten zum Streite, und nach einem 
langen und hartnäckigen Gefechte war der Sieg endlich auf Seiten des 
Schwanritters. Der Herzog von Sachsen verlor sein Leben, und der 
Herzogin Erbe wurde wieder frei und ledig. Da verneigten sie und die 
Tochter sich vor dem Helden, der sie erlöst hatte, und er nahm die an 
getragene Hand der Jungfrau unter der Bedingung an, daß sie nie und 
zu keiner Zeit fragen solle, woher er gekommen und welches sein Geschlecht 
sei; denn sonst müsse sie ihn verlieren. 
Der Herzog imb die Herzogin bekamen zwei Kinder, die waren wohl 
geraten; aber immer mehr fing es an, ihre Mutter zu drücken, daß sie
	        
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