Dadurch erhält die Bernsteinfischerei, welche mehr grosse
Stücke ausgibt, eine noch höhere Bedeutung als die Gräberei.
Wenn nämlich das Meer im Sturme grössere, also tiefer
reichende Wellen schlägt, wühlt es seinen Boden auf und reifst
den Blasentang darauf los, der sich mit seiner Saugwurzel auf
den Steinen festgesogen hat und die kleineren und leichteren der
selben mit sich nimmt. Von allen Steinen am Meeresgrunde ist
nun seiner geringen Eigenschwere wegen der Bernstein am leich
testen beweglich, daher der Tang vorzugsweise Bernstein an den
Strand schleppt und in dortiger Gegend das Bernsteinkraut ge
nannt wird.
In den kalten Herbststürmen müssen die abgehärteten Be
wohner dieser Küste, oft bis an die Brust im Wasser stehend und
von den höheren Wellen überflutet, mit kleinen Netzen den Bern
stein fangen und nach dem Sturm mit ihren Booten hinausfahren,
um die grösseren Stücke, die sich zwischen Steinblöcken des Meeres
grundes festgeklemmt haben, herauszustechen. Die Gräberei gibt
jährlich höchstens 15000 kg, die Fischerei dagegen über
50000 kg, und von einem Handelshaus in Memel wurde der
flache Grund des kurischen Hafis mit Hilfe von 12 Dampf baggern
und 3 Handbaggern durchsucht und lieferte etwa 35000 kg.
Die meisten grossen Stücke wandern für edle Schmucksachen
nach dem Orient und werden daselbst oder in Danzig und Paris
verarbeitet, die kleinsten und alle verunreinigten Stücke werden zu
Räucherpulver oder zu einem köstlichen Malerlack verbraucht;
aber mehr als die Hälfte des Ganzen wird zu sogenannten Korallen,
das heisst rohen Perlen, verwendet, welche bei allen wilden Völkern
Afrikas, Ostasiens und der Südseeinseln stets willige Käufer finden.
Oft ist der Bernstein mit Stücken Rinde und braunkohlen
ähnlichem Holze verwachsen, dass man erkennt, er sei wie ein
Harz aus den Bäumen geflossen. Wie noch heute an flüssigen
Harzen sind Blätter und Moose, ja selbst kleine Tiere, namentlich
Insekten, auf ihm haften geblieben und überlaufen, so dass sie
jetzt wie in einem klaren Glase mit ihren feinsten Teilen aufbe
wahrt sind. Alle diese Tiere und Pflanzen leben nicht mehr auf
der Erde, und da der Reichtum im Bernstein so gross ist, dass man
z. B. schon mehr als 200 verschiedene Arten Spinnen, die sämtlich
seitdem von der Erde verschwanden, darin erkannt hat, so hat man
fast eine ganze Naturgeschichte des Waldes herstellen können,
welcher den Bernstein lieferte, und ersichtlich den Rand des be
nachbarten finnischen Meerbusens nicht bloss als ein Küstenwald,
sondern auch als ein höher aufsteigender Gebirgswald umsäumte.
Es gibt keinen Stein, der in alle Gebiete des menschlichen Wissens,
in die Naturlehre und die Chemie, die Naturgeschichte der Jetzt
welt und der Vorweit, ja in die Geschichte und Geographie so
bedeutsam hineinragt, als der Bernstein, den man in jeder Be
ziehung mit Fug den preussischen Edelstein nennen kann.
Meyer.