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12. Und die Sonne versendet glühenden
Brand,
und, von der unendlichen Mühe
ermattet, sinken die Kniee:
„O, hast du mich gnädig aus Räubers
Hand,
aus dem Strom mich gerettet ans
heilige Land,
und soll hier verschmachtend ver
derben
und der Freund mir, der liebende,
sterben!"
13. Und horch! da sprudelt es silberhell
ganz nahe wie rieselndes Rauschen,
und stille hält er, zu lauschen;
und sieh, aus dem Felsen geschwätzig
schnell
springt murmelnd hervor ein lebendiger
Quell;
und freudig bückt er sich nieder
und erfrischt die brennenden Glieder.
14. Und die Sonne blickt durch der Zweige
Grün
und malt auf den glänzenden Matten
der Bäume gigantische Schatten;
und zwei Wanderer sieht er die Straße
ziehn,
will eilenden Laufes vorüberfliehn,
da hört er die Worte sie sagen:
„Jetzt wird er ans Kreuz geschlagen."
15. Und die Angst beflügelt den eilenden
Fuß,
ihn jagen der Sorge Qualen;
da schimmern in Abendrots Strahlen
von ferne die Zinnen von Syrakus,
und entgegen kommt ihm Philo-
stratus,
des Hauses redlicher Hüter, -
der erkennet entsetzt den Gebieter:
16. „Zurück! du rettest den Freund nicht
mehr,
so rette das eigene Leben!
Den Tod erleidet er eben.
Von Stunde zu Stunde gewartet' er
mit hoffender Seele der Wiederkehr,
ihm konnte den mutigen Glauben
der Hohn des Tyrannen nicht rauben."—
17. „Und ist es zu spät und kann ich ihm nicht
ein Retter willkommen erscheinen,
so soll mich der Tod ihm vereinen!
Des rühme der blut'ge Tyrann sich
nicht,
daß der Freund dem Freunde gebrochen
die Pflicht;
er schlachte der Opfer zweie
und glaube an Liebe und Treue!"
18. Und die Sonne geht unter, da steht er
am Thor
und sieht das Kreuz schon erhöhet,
das die Menge gaffend umstehet;
an dem Seile schon zieht man den
Freund empor,
da zertrennt er gewaltig den dichten
Chor:
„Mich, Henker," ruft er, „erwürget!
Da bin ich, für den er gebürget."
19. Und Erstaunen ergreifet das Volk
umher;
in den Armen liegen sich beide
und weinen vor Schmerzen und
Freude.
Da sieht man kein Auge thränenleer;
und zum Könige bringt man die
Wundermür';
der fühlt ein menschliches Rühren,
läßt schnell vor den Thron sie
führen —
20. Und blicket sie lange verwundert an.
Drauf spricht er: „Es ist euch gelungen,
ihr habt das Herz mir bezwungen;
und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn;
so nehmet auch mich zum Genossen an,
ich sei, gewährt mir die Bitte,
in eurem Bunde der dritte!"
Schiller.