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■6. Sie gehen miteinander den nahen Fels hinan;
sein gülden Thor hat eben der Himmel aufgethan; —
der Hans voran, der Fremde rüstig hinterdrein,
und höher stets mit beiden der liebe Sonnenschein.
L 6. Nun stehn sie an der Spitze, — da liegt die Alpenwelt,
die wunderbare, große, vor ihnen aufgehellt;
gesunkne Nebel zeigen der Thäler reiche Lust,
mit Hütten in den Armen, mit Herden an der Brust.
7. Dazwischen Riesenbäche, darunter Kluft an Kluft,
daneben Wälderkronen, darüber freie Luft;
und sichtbar nicht, doch fühlbar, von Gottes Ruh' umkreist,
in Hütten und in Herzen der alten Treue Geist.
-8. Das sehn die beiden droben, — dem Fremden sinkt die Hand;
Hans aber zeigt hinunter aufs liebe Vaterland:
„Für das hab' ich gefochten, dein Bruder hat's bedroht;
für das hab' ich gestritten, für das schlug ich ihn tot."
-9. Der Fremde sieht hinunter, sieht Hansen ins Gesicht,
er will den Arm erheben, den Arm erhebt er nicht:
„Und hast du ihn erschlagen, so war's im rechten Streit;
und willst du mir verzeihen, komm, Hans, ich bin bereit!"
Seidl.
64. Die Alpen.
Unter den Alpen versteht man die im südlichen Teile von Deutsch
land und in der Schweiz sich erhebenden, weit ausgedehnten Gebirge,
deren Gipfel größtenteils mit ewigem Schnee bedeckt sind. Am höchsten
sind diese Kuppen an den Grenzen der Schweiz gegen Italien. Auf den
'Alpen weiden zahlreiche Viehherden, die von den Hirten, welche Älpler
oder Sennen heißen, gehütet werden. Hier werden den Sommer über
jene weltberühmten Käse bereitet, deren Güte sich stets nach der Höhe der
Alp richtet, auf der sie gemacht werden, so daß sogar die Käse der höchsten
'Alpen denen weit vorgezogen werden, welche in geringerer Höhe oder gar
in den Thälern bereitet werden. Die Männer verstehen hier das Ge
schäft des Melkens und der Käsebereitung. Butter wird wenig gemacht,
sie ist auch nicht von besonderer Güte. Während des Sommers wohnt
der Senn in hölzernen Hütten, Sennhütten genannt, in denen auch der
Reisende oft ein Obdach sucht und dann mit der Kost dieser Hirten, Milch,
Molken und Käse, fürlieb nehmen muß. Wo die grünen Alpen aufhören,
beginnt die Gegend des ewigen Eises und Schnees, welche die höheren
Gipfel bekleiden. Diese Grenze ist oft so scharf abgeschnitten, daß man den
einen Fuß auf Rasen, den andern auf Eis setzen, mit der einen Hand
den Schnee berühren, mit der andern blühende Pflanzen greifen kann.
Die Berge mittlerer Größe oder solche, deren Gipfel rund und flach sind,
bedeckt gewöhnlich der Schnee; die noch höheren aber ragen oft mit ihren
nackten Spitzen über Schnee und Eis hinaus. Die höchsten Spitzen aller
dieser Gebirge werden gewöhnlich in der Schweiz Hörner genannt, z. B.
Schreckhorn, Wetterhorn u. s. w. Hier füllt alljährlich eine außerordentliche