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zum erstenmal in ihnen das Gefühl zu wecken, daß es eine große
gemeinsame Sache gebe, die sie alle in gleicher Weise zu verteidigen
hätten. Die Häupter der Cherusker, der Brukterer, Marsen und Chatten,
und durch sie alle wehrhaften Männer dieser Stämme gewann Armin
für den Freiheitsbund und verlockte dann den sorglosen Varus in das
von Thalschluchten vielfach durchschnittene Waldgebirge am linken Ufer
der Weser. Mit den Schrecken der Natur im Bunde, unter Sturmwetter
und Regengüssen brach hier die germanische Wut auf das Römerheer ein.
Drei Tage lang suchte es sich unter tausendfachen Qualen dem Verderben
zu entwinden; drei Tage lang wurde es verfolgt, bekämpft und besiegt,
bis sich Varus endlich voll Verzweiflung in sein Schwert stürzte und die
Seinen sich entweder dem Sieger ergaben oder im Kampfe den Tod
suchten. Ein Heer von gegen 50000 Mann war völlig vernichtet, und
nur mit genauer Not schlug die Besatzung von Aliso sich zmn Rheine
durch. Der Rhein war wieder die Grenze der Römerherrschaft.
Blutig war die Rache der Germanen. In heiligen Hainen, die in
der Nähe des Schlachtfeldes waren, opferten sie die Anführer und Haupt
leute des überwundenen Heeres den Göttern. Am Galgen fanden viele
der Kriegsgefangenen den Tod. Den römischen Sachwaltern wurden die
Zungen aus dem Munde gerissen. Endlich, Natter, hast du aufgehört,
zu zischen! sagte ein Germane, als er die blutige Zunge in seiner Hand
hielt. Die Augen stach man den Gefangenen aus, hieb ihnen die Hände
ab, und manche haben lange ein elendes Leben dahingeschleppt. Vor
nehme Römer wurden als Knechte und Hirten auf die Höfe und Felder
deutscher Männer gebracht. Selbst der Toten schonte die Wut der
Sieger nicht. Die Leiche des Varus wurde mißhandelt, der Kopf ihr
abgehauen und an Marbod, den Markomannenfürsten, als Siegeszeichen
gesandt, zum stillen Vorwurf über seine teilnahmlose Unthätigkeit am
Kampfe fürs Vaterland.
Die Nachricht von dieser furchtbaren Niederlage trübte die Freuden
feste, die Angustus für den mühevollen Sieg des Tiberius über die
Pannonier anstellen ließ. So schlimm die Botschaft war, so fürchtete der
alte Kaiser doch noch Schlimmeres. Im geängsteten Geiste stellte er sich
vor, die vereinigten Deutschen, eine unwiderstehliche Macht, würden über
den Rhein stürmen, Gallien, des großen Julius Eroberung, in ihre
Gewalt bringen, dann über die Alpen brechen und Rom bedrohen; schon
sah er die Herrschaft seinen Händen entfallen, das Werk seines Lebens
zusammensinken. Er ließ Wachen bei Tag und Nacht Rom durchziehen,
ordnete eine allgemeine Aushebung an, gelobte dem Jupiter Spiele und
Opfer, wenn der Staat gerettet würde; wehklagend zerriß er seine Kleider,
ließ Haar und Bart wachsen; wie einen Wahnsinnigen sah man ihn mit
dem Kopfe gegen die Wand rennen und hörte von seinen Lippen den
Schmerzensschrei: Varus, Varus, gib mir meine Legionen wieder! Der
Tag der Unglücksschlacht blieb ein Schrecken seiner letzten Jahre.
v. Giesebrecht.
61. Deutscher Trost
1. Deutsches Herz, verzage nicht!
Thu, was dein Gewissen spricht,
dieser Strahl des Himmelslichts:
Thue recht und fürchte nichts.
2. Baue nicht auf bunten Schein,
Lug und Trug ist dir zu fein,
Feinheit wird dir eitel Dunst.
schlecht gerät dir List und Kunst,