Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

49 
in feuchten Gebüschen und an Uferplätzen wächst. — Die H e r b st z e i t l o s e, 
ein Zwiebelgewächs, verkündet stets den Herbst, und ihre Blüte ist die 
Zierde unserer feuchten Wiesen und Triften. Wer die^ spannhohen, weißen 
Blütenröhren näher betrachtet, findet darin sechs Staubfäden und drei 
sehr lange Griffel. Mit beginnendem Froste verschwindet die Blume, 
aber im Frühlinge darauf erscheinen^ an ihrer Stelle drei tulpenartige 
Blätter und in deren Mitte große Samenkapseln. So kommt an der 
Pflanze alles gleichsam zur Unzeit, weswegen sie denn auch nicht mit 
unrecht „Zeitlose" heißt. 
51. Der Maulwurf. 
Unter allen Tieren, die ihre Jungen säugen, ist der Maulwurf 
das einzige, das seiner Nahrung allein in dunkeln Grängen unter 
der Erde nachgeht. Und an dem einen ist’s zu viel, wird mancher 
sagen, der an seine Felder und Wiesen denkt, wie sie mit Maul 
wurfshügeln bedeckt sind, wie der Boden zerwühlt und durch 
löchert wird, wie die Gewächse oben absterben, wenn das heim 
tückische Tier unten an den Wurzeln weidet. Nun so wollen wir 
denn Gericht halten über den Missethäter. Wahr ist es und nicht 
zu leugnen, dass er durch seine unterirdischen Gänge hin und 
wieder den Boden durchwühlt und ihm etwas von seiner Festig 
keit raubt. Wahr ist es ferner, dass durch die herausgestofsenen 
Grundhaufen viel fruchtbares Land bedeckt und die darunter 
liegenden Keime im Wachstum gehindert, ja erstickt werden 
können. Dafür ist jedoch in einer fleissigen Hand der Rechen 
gut. Aber wer hat’s gesehen, dass der Maulwurf die Wurzeln 
abfrisst? wer kann’s behaupten? Nun. man sagt so: Wo die 
Wurzeln abgenagt sind und die Pflanzen sterben, wird man auch 
Maulwürfe finden; und wo keine Maulwürfe sind, geschieht das 
auch nicht. Folglich thut’s der Maulwurf. — Der das sagt, ist 
vermutlich der nämliche, der einmal so behauptet hat: Wenn im 
Frühlinge die Frösche zeitig quaken, so schlägt auch das Laub 
beizeiten aus. Wenn aber die Frösche lange nicht quaken 
wollen, so will auch das Laub nicht kommen. Folglich quaken 
die Frösche das Laub heraus. Seht doch, wie man sich irren kann! 
Aber da kommt ein Advokat des Maulwurfs, ein erfahrener 
Landwirt und Naturbeobachter, der sagt so: Nicht der Maulwurf 
frisst die Wurzeln ab, sondern die Engerlinge, die unter der 
Erde sind, aus welchen hernach die Maikäfer und anderes Un 
geziefer kommen. Der Maulwurf aber frisst die Quadten und 
reinigt den Boden von diesen Feinden. Jetzt wird es also 
begreiflich, dass der Maulwurf immer da ist, wo das Gras und 
die Pflanzen krank sind und absterben, weil die Engerlinge da 
sind, denen er nachgeht, und die er verfolgt. Und dann muss er 
gethan haben, was diese anstellen, und bekommt für eine Wohl 
that, die er euch erweisen will, des Henkers Dank. Das hat 
wieder einer in der Stube erfunden oder aus Büchern gelernt, 
werdet ihr sagen, der noch keinen Maulwurf gesehen hat. — 
Deutsches Lesebuch. Ausgabe C. V. Teil. 4
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.