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in feuchten Gebüschen und an Uferplätzen wächst. — Die H e r b st z e i t l o s e,
ein Zwiebelgewächs, verkündet stets den Herbst, und ihre Blüte ist die
Zierde unserer feuchten Wiesen und Triften. Wer die^ spannhohen, weißen
Blütenröhren näher betrachtet, findet darin sechs Staubfäden und drei
sehr lange Griffel. Mit beginnendem Froste verschwindet die Blume,
aber im Frühlinge darauf erscheinen^ an ihrer Stelle drei tulpenartige
Blätter und in deren Mitte große Samenkapseln. So kommt an der
Pflanze alles gleichsam zur Unzeit, weswegen sie denn auch nicht mit
unrecht „Zeitlose" heißt.
51. Der Maulwurf.
Unter allen Tieren, die ihre Jungen säugen, ist der Maulwurf
das einzige, das seiner Nahrung allein in dunkeln Grängen unter
der Erde nachgeht. Und an dem einen ist’s zu viel, wird mancher
sagen, der an seine Felder und Wiesen denkt, wie sie mit Maul
wurfshügeln bedeckt sind, wie der Boden zerwühlt und durch
löchert wird, wie die Gewächse oben absterben, wenn das heim
tückische Tier unten an den Wurzeln weidet. Nun so wollen wir
denn Gericht halten über den Missethäter. Wahr ist es und nicht
zu leugnen, dass er durch seine unterirdischen Gänge hin und
wieder den Boden durchwühlt und ihm etwas von seiner Festig
keit raubt. Wahr ist es ferner, dass durch die herausgestofsenen
Grundhaufen viel fruchtbares Land bedeckt und die darunter
liegenden Keime im Wachstum gehindert, ja erstickt werden
können. Dafür ist jedoch in einer fleissigen Hand der Rechen
gut. Aber wer hat’s gesehen, dass der Maulwurf die Wurzeln
abfrisst? wer kann’s behaupten? Nun. man sagt so: Wo die
Wurzeln abgenagt sind und die Pflanzen sterben, wird man auch
Maulwürfe finden; und wo keine Maulwürfe sind, geschieht das
auch nicht. Folglich thut’s der Maulwurf. — Der das sagt, ist
vermutlich der nämliche, der einmal so behauptet hat: Wenn im
Frühlinge die Frösche zeitig quaken, so schlägt auch das Laub
beizeiten aus. Wenn aber die Frösche lange nicht quaken
wollen, so will auch das Laub nicht kommen. Folglich quaken
die Frösche das Laub heraus. Seht doch, wie man sich irren kann!
Aber da kommt ein Advokat des Maulwurfs, ein erfahrener
Landwirt und Naturbeobachter, der sagt so: Nicht der Maulwurf
frisst die Wurzeln ab, sondern die Engerlinge, die unter der
Erde sind, aus welchen hernach die Maikäfer und anderes Un
geziefer kommen. Der Maulwurf aber frisst die Quadten und
reinigt den Boden von diesen Feinden. Jetzt wird es also
begreiflich, dass der Maulwurf immer da ist, wo das Gras und
die Pflanzen krank sind und absterben, weil die Engerlinge da
sind, denen er nachgeht, und die er verfolgt. Und dann muss er
gethan haben, was diese anstellen, und bekommt für eine Wohl
that, die er euch erweisen will, des Henkers Dank. Das hat
wieder einer in der Stube erfunden oder aus Büchern gelernt,
werdet ihr sagen, der noch keinen Maulwurf gesehen hat. —
Deutsches Lesebuch. Ausgabe C. V. Teil. 4