Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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auch thätige Dankbarkeit üben. Und nicht bloss zwischen Dörfern 
wird man einen Unterschied bemerken, sondern selbst ein einzelnes 
Gehöft kann sich vor der Nachbarschaft auszeichnen durch volleres 
Laub und reichere Blüten, wenn der Besitzer die gefiederten Gäste 
zu schätzen und zu würdigen weiss. Dazu lässt sich aber noch 
mehr thun, als dass man die ungezogenen Buben abwehrt und den 
Schwalben, Finken oder Meisen die Ansiedelung gestattet, wenn 
sie kommen, um einen Bauplatz zu suchen. Wie man den Störchen 
oft eine Herberge bereitet, so sollte man auch den kleineren 
Vögeln, wenn nicht aus Liebhaberei, so doch um des eigenen Vor 
teils willen, das Nisten erleichtern. Man reinige z. B. die Ast 
löcher , in denen sie gern brüten, von, Moder und Moos, hänge 
Nistkästchen auf, fertige aus hohlen Ästen oder alten Brettern 
Bruthöhlen mit nicht zu grossen Löchern an und hefte sie an die 
Bäume, und zwar mit dem Eingänge nach Osten hin, um die 
Nester vor dem Regenwinde zu schützen. Wer so die munteren 
Tierchen an seinen Hof und Garten gewöhnt und dabei ihre 
Feinde , vor allen die bösen, nestzerstörenden und eiersammelnden 
Knaben abwehrt, dem werden sie sich bald zutraulich zeigen und 
Freude bereiten. Den Nutzen wird er aber auch bald an Baum 
und Strauch, an Gemüse und Getreide spüren, und Zeit, Mühe 
und Kosten, die er darauf verwandt hat, seinen Freunden Wohnungen 
herzustellen, werden sich mit tausendfältigen Zinsen bezahlt machen. 
41. Die Taube. 
Das Anmutigste unter allem, was Flügel trägt, ist unstreitig die 
Taube. Sie ist ein lieber, frommer und schöner Vogel, sanft und arglos, 
voll zärtlicher Liebe und nach dem Glauben der Alten ohne Galle. Ihr 
ganzes Sein und Leben ist friedlich und ohne Schuld. Sie ist dem 
Manschen zugewandt und doch frei; ihre Farbe ist fein, oft leuchtend, und 
jede Bewegung nett und lebensfroh in Flug und Zug. 
Mannigfaltigkeit und Verschiedenheit zeigt sich in ihrer Tracht. Die 
eine hat ein nettes Häubchen, eine zweite eine Perücke, eine dritte trägt 
einen Kragen; diese kichert, jene trommelt, und noch eine andere schlägt 
rucksend ihr Rad. Wie zierlich trippelt dort der kleine befranste Fuß 
über den weißen Sand, wie neugierig blickt das rötliche Auge umher! 
Jetzt schwingt sie sich leicht und frei auf das vom glänzenden Strahle 
der Morgensonne beschienene Dach, von wo aus sie mit ihren Gespielinnen 
einen erfrischenden Ausflug unternehmen will. 
Schön und schnell ist der Flug der Taube; sie fliegt am schnellsten 
unter allen Vögeln, und dies ist ihr einziger Schutz gegen die Falken. 
Wenn der Raubvogel, dem menschlichen Auge kaum sichtbar, über dem 
Hofe schwebt, dann hat ihn die Taube schon erblickt, und ist ein Ver 
bergen nicht möglich, so erhebt sich die ganze Schar und steigt in dichtem 
Kreise auf. 
Rascher und immer rascher dreht sich der Knäuel, den Räuber zu 
verwirren. Dieser stößt herab und — verfehlt seine Beute, denn Blick 
und Stoß sind unsicher geworden. Er versucht es ein-, zweimal, aber
	        
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