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in der Stadt, daß man es zu den gewöhnlichsten Dingen gebrauchte
und die Kinder auf den Straßen mit harten Thalern spielten... Durch
ihren Reichtum verfielen aber die Bewohner von Vineta in Üppigkeit
und freventlichen Übermut. Dafür traf sie denn der gerechte Zorn
Gottes, und die schwelgerische Stadt wurde urplötzlich von dem Ungestüm
des Meeres zu Grunde gerichtet und von den Wellen verschlungen.
Darauf kamen die Schweden von Gotland her mit vielen Schiffen und
holten fort, was sie von den Reichtümern der Stadt aus dem Meere
herausfischen konnten; sie bargen eine Menge von Gold, Silber, Erz
und Zinn und von dem herrlichsten Marmor Auch die ehernen Stadt
thore fanden sie ganz; die nahmen sie mit nach Wisby auf Gotland,
wohin sich auch von nun an der Handel Vinetas zog.
Die Stelle, wo die Stadt gestanden hat, kann man noch heutigen
Tages sehen. Wenn man nämlich von Wolgast über die Peene nach
Usedom fährt, so erblickt man dem Dorfe Damerow gegenüber, 15 Kilo
meter von Wolgast, bei stiller See bis tief, wohl zwei Kilometer in das
Wasser hinein eine Menge großer Steine, marmorner Säulen und Fun
damente. Das sind Vinetas Trümmer; sie liegen in der Länge von
Morgen nach Abend. Die ehemaligen Straßen und Gassen sind mit
kleinen Kieselsteinen ausgelegt; größere Steine zeigen an, wo die Ecken
der Straßen und die Fundamente der Häuser gewesen sind. Einige davon
ragen ellenlang aus dem Wasser hervor; dort haben die Tempel und Rat
häuser gestanden- Andere liegen noch ganz in der Ordnung, wie man
Grundsteine zn legen pflegt, so daß augenscheinlich noch neue Häuser haben
erbaut werden sollen, als die Stadt vom Wasser verschlungen worden ist.
In der versunkenen Stadt ist noch immer ein wundersames Leben.
Bei stillem Wasser sieht man oft unten in den Trümmern ganz wunderbare
Bilder. Große, seltsame Gestalten in langen, faltigen Kleidern wandeln
dann in den Straßen auf und ab; oft sitzen sie auch in goldenen Wagen
oder auf großen, schwarzen Pferden. Manchmal gehen sie fröhlich und
geschäftig einher; manchmal bewegen sie sich in langsamen Trauerzügen,
und man sieht dann, wie sie einen Sarg zum Grabe geleiten. Die
silbernen Glocken der Stadt kann man noch jeden Abend bei ruhiger See
hören, wie sie tief unter den Wellen die Vesper läuten, und am Oster
morgen — denn vom stillen Freitag bis zum Ostermorgen soll der Unter
gang von Vineta gedauert haben — kann man die ganze Stadt sehen,
wie sie früher gewesen ist. Sie steigt..dann, ein warnendes Schattenbild,
zur Strafe für ihre Abgötterei und Üppigkeit, mit allen ihren Häusern,
Kirchen, Thoren, Brücken und Trümmern aus dem Wasser hervor, und
man sieht sie deutlich über den Wellen. Wenn es aber Nacht oder stür
misches Wetter ist, dann darf kein Schiff sich den Trümmern nahen; ohne
Gnade wird es an die Felsen geworfen, an denen es hilflos zerschellt,
und keiner, der darin gewesen, kann aus den Wellen sein Leben erretten.
Von dem in der Nähe liegenden Dorfe Ledin führt noch jetzt ein alter
Weg zu den Trümmern, den die Leute in Ledin von alten Zeiten Her
den Landweg nach Vineta nennen.
Von den Trümmern der versunkenen Stadt, die der Volksglaube auch
im Meeresschoße noch in alter Herrlichkeit träumt, singt Wilhelm Müller
folgende Verse: