Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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28. Die Macht des Gewissens. 
Einem reichen Pflanzer in Amerika waren eines Tages mehrere 
silberne Löffel gestohlen worden, die in einer Gartenlaube auf dem Tische 
lagen, während die Familie des Pflanzers in dem anstoßenden Garten- 
saale- sich aufhielt. Da niemand als die Sklaven an der Gartenlaube 
vorüber gegangen war, so mußte einer von ihnen die Löffel haben. Aber 
wie sollte man den Schuldigen herausfinden? Denn die Schwarzen sind 
listig und verschlagen. Aber der Europäer war auch schlau. Am nächsten 
Morgen versammelte er alle seine Sklaven, sagte ihnen, welch ein Dieb 
stahl begangen worden sei, und befahl ihnen streng, die Hände herabzu 
halten, „denn," fügte er hinzu, „es hat mir die Nacht geträumt, ich werde 
den Dieb daran erkennen, daß ihm eine weiße Feder auf der Nase sitzt." 
Alle Sklaven hielten ruhig ihre Hände herab; nur einer fuhr ängstlich 
zur Nase empor, sowie der Herr der weißen Feder erwähnte. So war 
der Dieb augenblicklich entdeckt; die Löffel wurden in seiner Hängematte 
versteckt gefunden, und er erhielt die verdiente Strafe. 
29. Die Sonne bringt es an den Tag. 
1. Gemächlich in der Werkstatt saß zum Frühstück Meister Nikolas. 
Die junge Hausfrau schenkt' ihm ein, es war im heitern Sonnenschein. 
Die Sonne bringt es an den Tag. 
2. Die Sonne blinkt von der Schale Rand, malt zitternde Kringel 
an die Wand, und wie den Schein er ins Auge faßt, so spricht er für sich, 
indem er erblaßt: „Du bringst es doch nicht an den Tag!" 
3. „Wer nicht? Was nicht?" die Frau fragt gleich, „was stierst du 
so an? Was wirst du so bleich?" Und er darauf: „Sei still, nur 
still! Jch's doch nicht sagen kann, noch will! Die Sonne bringt's 
nicht an den Tag." 
4. Die Frau nur dringender forscht und fragt, mit Schmeicheln ihn 
und Hadern plagt, mit süßem und mit bitterm Wort; sie fragt und plagt 
ihn fort und fort: „Was bringt die Sonne nicht an den Tag?" 
5. „Nein, nimmermehr!" — „Du sagst es mir noch!" — „Ich sag' 
es nicht!" — „Du sagst es mir doch!" Da ward zuletzt er müd' und 
schwach und gab der Ungestümen nach. Die Sonne bringt es an 
den Tag. 
6. „Auf der Wanderschaft — 's sind zwanzig Jahr — da traf es 
sich einst gar sonderbar, ich hatt' nicht Geld, nicht Ranzen, noch Schuh', 
war durstig, hungrig und zornig dazu. Die Sonne bringt's nicht 
an den Tag. 
7. Da kam mir just ein Jud' in die Quer', ringsum war's still 
und menschenleer. „Du hilfst mir, Hund, aus meiner Not; den Beutel 
her! sonst schlag' ich dich tot!" Die Sonne bringt's nicht an 
den Tag.
	        
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