Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

16 
15. Doch, wie der nur vernommen 
des Knaben erstes Wort, 
da reifst die kluge Rechte 
der jähe Zorn ihm fort. 
16. Er stösst sein scharfes Messer 
dem Buben in die Brust, 
dann stürzt er nach dem Kessel, 
sein selber nicht bewusst. 
17. Vielleicht, dass er noch retten, 
den Strom noch hemmen kann. — 
Doch sieh! der Guss ist fertig, 
es fehlt kein Tropfen dran. 
18. Da eilt er abzuräumen 
und sieht und will’s nicht sehn, 
ganz ohne Fleck und Makel 
die Glocke vor sich stehn. 
19. Der Knabe liegt am Boden, 
er schaut sein Werk nicht mehr: 
Ach, Meister, wilder Meister, 
du stiessest gar zu sehr! 
20. Er stellt sich dem Gerichte, 
er klagt sich selber an. 
Es thut den Richtern wehe 
wohl um den wackern Mann. 
21. Doch kann ihn keiner retten, 
und Blut will wieder Blut; 
er hört sein Todesurteil 
mit ungebeugtem Mut. 
22. Und als der Tag gekommen, 
dass man ihn führt hinaus, 
da wird ihm angeboten 
der letzte Gnadenschmaus. 
23. „Ich dank’ euch,“ spricht der Meister 
„ihr Herren lieb und wert; 
doch eine andre Gnade 
mein Herz von euch begehrt: 
24. Lasst mich nur einmal hören 
der neuen Glocke Klang! 
Ich hab’ sie ja bereitet; 
möcht’ wissen, ob’s gelang.“ 
25. Die Bitte ward gewähret, 
sie schien den Herrn gering; 
die Glocke ward geläutet, 
als er zum Tode ging. 
26. Der Meister hört sie klingen 
so voll, so hell, so rein; 
die Augen gehn ihm über, 
es muss vor Freude sein. 
27. Und seine Blicke leuchten, 
als wären sie verklärt; 
er hat in ihrem Klange 
wohl mehr als Klang gehört. 
28. Hat auch geneigt den Nacken 
zum Streich voll Zuversicht; 
und was der Tod versprochen, 
das bricht das Leben nicht. 
29. Das ist der Glocken Krone, 
die er gegossen hat, 
die Magdalenenglocke 
zu Breslau in der Stadt. 
30. Die ward zur Sünderglocke 
seit jenem Tag geweiht; 
weiss nicht, ob's anders worden 
in dieser neuen Zeit. 
W. Müller. 
21. Herkules in der Jugend. 
Zeus hatte einen Sohn, mit Namen Herkules, welchen ihm 
eine sterbliche Mutter geboren hatte. Er stattete ihn mit Riesen 
kraft aus. Diese zeigte der Knabe schon in der Wiege; denn als 
die Göttin Hera, um ihn zu töten, zwei ungeheure Schlangen ge 
schickt hatte, ergriff er mit jeder Hand eine und erstickte sie mit 
einem Druck. Da verkündete ihm ein weiser Mann, welcher in 
die Zukunft schauen konnte, sein Leben werde voll Mühe und 
Arbeit sein, schwere Kämpfe werde er zu bestehen haben mit 
wilden Tieren und gewaltigen Riesen; aber alle werde er besiegen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.