Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

19. Irisch gewagt, ist halb gewonnen. 
„Frisch gewagt, ist halb gewonnen." Daraus folgt: „Frisch gewagt, 
ist auch halb verloren." Das kann nicht fehlen. Deswegen sagt man 
auch: „Wagen gewinnt, wagen verliert." Was muß also den Ausschlag 
geben? Prüfung, ob man die Kräfte habe zu dem, was man wagen 
will, Überlegung, tvie es anzufangen sei, Benutzung der günstigen Zeit 
und Umstände 'und hintennach, wenn man sein mutiges A gesagt hat, 
ein besonnenes B und sein bescheidenes C. Aber soviel muß wahr 
bleiben: wenn etwas Gewagtes soll unternommen werden, unb kann nicht 
anders sein, so ist ein frischer Mut zur Sache der Meister, und er muß 
dich durchreißen. Aber wenn du immer willst, und fängst nie an, oder 
du hast schon angefangen, und es reut dich wieder, und willst, wie man 
sagt, auf dem trockenen Lande ertrinken: guter Freund, dann ist „schlecht 
gewagt, ganz verloren." I. P. Hebel. 
20. Der Glockenguss zu Breslau. 
1. War einst ein Glockengießer 
zu Breslau in der Stadt, 
ein ehrenwerter Meister, 
gewandt in Rat und That. 
2. Er hatte schon gegossen 
viel Glocken, gelb und weiss, 
für Kirchen und Kapellen, 
zu Gottes Loh und Preis. 
3. Und seine Glocken klangen 
so voll, so hell, so rein; 
er goss auch Lieb’ und Glauben 
mit in die Form hinein. 
4. Doch aller Glocken Krone, 
die er gegossen hat, 
das ist die Sünderglocke 
zu Breslau in der Stadt. 
5. Im Magdalenenturme, 
da hängt das Meisterstück, 
rief schon manch starres Herze 
zu seinem Gott zurück. 
si. Wie hat der gute Meister 
so treu das Werk bedacht! 
Wie hat er seine Hände 
gerührt bei Tag und Nacht! 
7. Und als die Stunde kommen, 
dass alles fertig war — 
die Form ist eingemauert, 
die Speise gut und gar — 
8. Da ruft er seinen Buben 
zur Feuerwacht herein: 
„Ich lass’ auf kurze Weile 
beim Kessel dich allein — 
9. Will mich mit einem Trünke 
noch stärken zu dem Guss, 
das gibt der zähen Speise 
erst einen vollen Fluss. 
10. Doch hüte dich und rühre 
den Hahn mir nimmer an; 
sonst wär’ es um dein Leben, 
Fürwitziger, gethan!“ 
11. Der Bube steht am Kessel, 
schaut in die Glut hinein: 
das wogt und wallt und wirbelt 
nnd will entfesselt sein — 
12. Und zischt ihm in die Ohren 
und zuckt ihm durch den Sinn 
und zieht an allen Fingern 
ihn nach dem Hahne hin. 
13. Er fühlt ihn in den Händen, 
er hat ihn umgedreht; 
da wird ihm angst und bange, 
er weiss nicht, was er thät, 
14. Und läuft hinaus zum Meister, 
die Schuld ihm zu gestehn, 
will seine Knie’ umfassen 
und ihn um Gnade flehn.
	        
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