Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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geht die Woche; und wie der Sonntag kommt, sagt der Meister: 
„Gesell, es ist viel zu thun; heute musst du in der Werkstatt 
sein!“ — „Gut,“ sagt der Gesell, „wenn’s nicht anders sein kann.“ — 
Den nächsten Sonntag sagt der Meister wiederum: „Es ist viel 
zu thun,“ und so auch den dritten. 
Als aber nach dem dritten Sonntag der Gesell den Wochen 
lohn bekam, fünf Thaler und fünfundzwanzig Silbergroschen, wie 
es ihm zukam, da spricht er: „Das ist zu viel!“ und schiebt die 
fünfundzwanzig Silbergroschen zurück. „Warum?“ sagt der 
Meister, „es ist für die sieben Tage.“ — Aber der Gesell spricht: 
„Nein, ich hab’s mir bedacht, und für den Sonntag nehme ich kein 
Geld mehr; denn der Sonntag ist nicht zum Geld verdienen, und 
wenn ich am Sonntage arbeite, so geschieht’s euch zuliebe, und 
Geld will ich nicht.“ Da sah der Meister den Gesellen gross an ; 
und seit dem Tage war die Schmiede jeden Sonntag verschlossen 
und kein Hammer noch Blasebalg mehr zu hören. 
Merke: Man soll unserm Herrgott nicht sein viertes Gebot 
stehlen, und wer in die Kirche will, der findet den Weg schon. 
16. Schäfers Sonntagslied. 
1. Das ist der Tag des Herrn! 
Ich bin allein auf weiter Flur, 
noch eine Morgenglocke nur; 
nun Stille nah und fern. 
2. Anbetend knie ich hier. 
O süßes Graun, geheimes Wehn! 
Als knieten viele ungesehn 
unb beteten mit mir. 
3. Der Himmel, nah und fern, 
er ist so klar und feierlich, 
so ganz, als wollt' er öffnen sich. 
Das ist der Tag des Herrn! 
Uhland. 
17. Der schlaue Pilgrim. 
Vor einigen Jahren zog ein Müßiggänger durch das Land, der sich 
für einen frommen Pilgrim ausgab, gab vor, er komme von Paderborn, 
und laufe geraden Weges zum heiligen Grabe nach Jerusalem, fragte schon 
in Müllheim an der Post: Wie weit ist es noch nach Jerusalem? Und 
wenn man ihm sagte: Siebenhundert Stunden; aber auf dem Fußweg 
über Mauchen ist es eine Viertelstunde näher, so ging er, um auf dem 
langen Weg eine Viertelstunde zu ersparen, über Mauchen. Das wäre 
nun so übel nicht. Man muß einen kleinen Vorteil nicht verachten, sonst 
kommt man zu keinem großen. Man hat öfter Gelegenheit, einen Batzen 
zu ersparen oder zu gewinnen, als einen Gulden. Aber 15 Batzen sind 
auch ein Gulden, und wer auf einem Wege von 700 Stunden nur alle 
mal an 5 Stunden weiß eine Viertelstnnde abzukürzen, der hat an der 
S Reise gewonnen — wer rechnet aus, wieviel? Allein unser ver- 
r Pilgrim dachte nicht ebenso, sondern weil er nur dem Müßiggang 
und gutem Essen nachzog, so war es ihm einerlei, wo er war. Ein 
Bettler kann nach dem alten Sprichwort nie verirren; er muß in ein
	        
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