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178. Das Gottesgericht von Sedan am
1. September 1870.
Im Monat August hatten die Franzosen in dem verschanzten Lager
bei Chalons*) ein neues Heer von 150000 Mann gesammelt. Der bei
Wörth geschlagene Marschall Mac Mahon stand an dessen Spitze; auch
der Kaiser Napoleon befand sich bei demselben. Ihm rückte nun die
dritte deutsche Armee unter dem preußischen Kronprinzen und eine neue,
sogenannte vierte Armee entgegen, die nach der Schlacht bei Gravelotte
von der Metz umlagernden Truppenmacht abgezweigt und unter den Be
fehl des Kronprinzen Albert von Sachsen gestellt war. Aber als die
deutschen Armeeen sich Chalons näherten, siehe, da fand sich das französische
Lager leer. Mac Mahon war in aller Stille gegen Norden abmarschiert,
um, während die getäuschten Feinde ihn vergeblich aufsuchten, plötzlich
vor Metz zu erscheinen, Bazaines**) Heer von der Einschließung zu befreien
und, mit demselben vereinigt, die feindlichen Streitkräfte einzeln zu schlagen.
So lautete der französische Kriegsplan; allein dieser Plan mißlang völlig.
Frühzeitig genug merkten der preußische und der sächsische Kronprinz des
Marschalls Absicht, sie änderten sogleich ihren Weg und eilten dem nord
wärts gegen die Ardennen hinziehenden Franzosenheere in Eilmärschen
nach, um es so rasch als möglich zu erreichen. Am 30. August stieß der
Kronprinz von Sachsen auf einen Teil des feindlichen Heeres, der bei
dem Dorfe Beaumont***) auf Waldhöhen lagerte und eben sein Mittagsmahl
abkochte. Sofort befahl der Prinz den Angriff. Diesmal lag die Haupt
arbeit den Kriegern der preußischen Provinz Sachsen ob, die mit unver
gleichlicher Tapferkeit fochten. Die Franzosen wurden in wilder Flucht
über die Maas gejagt, Tausende derselben niedergemacht, 7 000 Gefangene,
23 Kanonen, 11 Kugelspritzen, 2 Adler und 2 Zeltlager ihnen abge
nommen. Zwei Tage danach, am 1. September, erfolgte dann die
Hauptschlacht bei Sedan. Die Armeeen der beiden Kronprinzen hatten
sich vereinigt; wie bei Gravelotte hatte der König Wilhelm selbst die
Führung des deutschen Gesamtheeres übernommen. Mac Mahons
Streitmacht stützte sich auf die Festung Sedan, deren Mauern ihr den
Rücken deckten. In der ersten Morgenfrühe begannen die Bayern den
Angriff auf des Feindes rechten Flügel. Von hier rückte das Gefecht
immer weiter bis zur äußersten Aufstellung fort, gegen welche namentlich
die hessisch-thüringischen Regimenter mit todverachtendem Heldenmute vor
dringen. Mac Mahon wird durch einen Granatschuß schwer verwundet;
an seiner Statt übernimmt General Wimpffen die Führung des französischen
Heeres. Aber enger und immer enger schließt sich der feindliche Gürtel
um die Franzosen; von mehreren Seiten zugleich stürmen die Scharen
des preußischen Kronprinzen auf sie ein; auf der andern Seite bedrängt
sie der Kronprinz von Sachsen; rund um Sedan rollt der Donner der
siegreich fortschreitenden Feldschlacht. Gegen 3 Uhr flüchtet sich der
Feind nach ungeheuren Verlusten hinter die Mauern von Sedan. Sie
bieten dem völlig zerrütteten Heere keine Rettung mehr; vernichtend fallen
die feindlichen Bomben und Granaten in die wirren, dichtgedrängten
*) spr. Schalong. **) spr. Basähn. ***) spr. Bomong.
Deutsches Lesebuch. Ausgabe c. V. Teil.
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