Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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empfängt den Zug in Berlin. Der Bahnstieg ist überfüllt — ein donnern 
des Hurra, untermischt mit dem Rufe: „Nieder mit Frankreich!" ertönt. 
Der König steigt aus seinem Wagen, reicht dem greisen Wränget die 
Hand und schreitet dann langsam, die Hände links und rechts reichend, 
nach allen Seiten freundlich grüßend und von den Damen Blumensträuße 
entgegennehmend, ins Wartezimmer. 
Nach kurzem Verweilen besteigt der König seinen Wagen und fährt 
langsam durch die dichtgedrängten, ihm zujubelnden Menscheumassen nach 
seinem Palais. Orkanartig erdröhnt dort noch einmal ein hunderttausend 
stimmiges Hurra, der König spricht einige Worte des Dankes von der 
Rampe, dann tritt er in- sein Palais. 
Doch nicht lange wird dem von der anstrengenden Fahrt ermüdeten 
Monarchen Ruhe gegönnt; die Volksmenge umsteht noch immer den Palast 
und läßt nicht nach, bis er sich aufs neue am Fenster zeigt. Da entblößen 
sich rasch alle Häupter, und aus vieltausendstimmigem Chor braust die 
Nationalhymne zu ihm hinauf, männlich und gewaltig. Der Feuergeist 
von 1813 leuchtet aus dem Gesänge hervor. 
Es ist 11 Uhr. Noch immer wogt das Volk auf und ab vor dem 
Palaste. Da erscheint Moltke, der schweigsame Denker der Schlachten. 
Stürmischer Willkommen wird ihm von allen Seiten zu teil, fast hebt man 
ihn auf die Schultern, um ihn ins Palais zu tragen. Eine halbe Stunde 
später, da die begeisterten Rufe nicht aufhören, treten einige Schutzleute 
unter die Versammelten : der König ließe bitten nach Hause zu gehen, er 
habe noch viel zu arbeiten diese Nacht! „Der König will Ruhe! Nach 
Hause! Nach Hause!" erschallt es durch die Menge, und in wenig Augen- 
blicken ist der ganze Platz geleert. 
Ausübung militärischer Pflichten, ernste und lange Beratungen mit 
den Ministern, Audienzerteilunqen warteten ja des Königs nach seiner 
Rückkehr in die Residenz. 
Das königliche Palais ist vom Morgen bis zum Abend von Volks- 
massen umdrängt, und so oft der König sich am Fenster zeigt, ist des 
Beisalljauchzens kein Ende. Und wenn er im offenen Wagen ausführt, 
wird er mit immer neuem Jubel begrüßt; es ist, als wollte jedermann 
ihn durch seine Liebe und Begeisterung entschädigen für die ihm von 
Frankreich angethane schwere Unbill. ' „Daheim." 
176. Ein Sieg durch Gesang. 
Die Elsässer waren, als das deutsche Heer 1870 nach den 
ersten Siegen ins Land einrückte, voll Angst und Sorge. Sie 
flohen überall in wilder Hast aus ihren Dörfern; denn man hatte 
ihnen das Schlimmste von den Preussen erzählt. Vergebens war 
alles Bemühen der Prediger, ihre Gemeinden zurückzuhalten. 
So geschah es auch, dass die Bewohner eines Dorfes sich in 
den nahen Bergwald flüchteten. Unten rückten die Preussen ein, 
oben ans den Bergen standen die zitternden Elsässer. Nur der 
Pfarrer war im Dorfe geblieben. Sofort erhält er den Auftrag, 
die flüchtigen Bewohner zurückzuführen. Aber er erklärt, alle 
seine Mühe sei bis jetzt vergeblich gewesen. Er eilt noch einmal
	        
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