175
empfängt den Zug in Berlin. Der Bahnstieg ist überfüllt — ein donnern
des Hurra, untermischt mit dem Rufe: „Nieder mit Frankreich!" ertönt.
Der König steigt aus seinem Wagen, reicht dem greisen Wränget die
Hand und schreitet dann langsam, die Hände links und rechts reichend,
nach allen Seiten freundlich grüßend und von den Damen Blumensträuße
entgegennehmend, ins Wartezimmer.
Nach kurzem Verweilen besteigt der König seinen Wagen und fährt
langsam durch die dichtgedrängten, ihm zujubelnden Menscheumassen nach
seinem Palais. Orkanartig erdröhnt dort noch einmal ein hunderttausend
stimmiges Hurra, der König spricht einige Worte des Dankes von der
Rampe, dann tritt er in- sein Palais.
Doch nicht lange wird dem von der anstrengenden Fahrt ermüdeten
Monarchen Ruhe gegönnt; die Volksmenge umsteht noch immer den Palast
und läßt nicht nach, bis er sich aufs neue am Fenster zeigt. Da entblößen
sich rasch alle Häupter, und aus vieltausendstimmigem Chor braust die
Nationalhymne zu ihm hinauf, männlich und gewaltig. Der Feuergeist
von 1813 leuchtet aus dem Gesänge hervor.
Es ist 11 Uhr. Noch immer wogt das Volk auf und ab vor dem
Palaste. Da erscheint Moltke, der schweigsame Denker der Schlachten.
Stürmischer Willkommen wird ihm von allen Seiten zu teil, fast hebt man
ihn auf die Schultern, um ihn ins Palais zu tragen. Eine halbe Stunde
später, da die begeisterten Rufe nicht aufhören, treten einige Schutzleute
unter die Versammelten : der König ließe bitten nach Hause zu gehen, er
habe noch viel zu arbeiten diese Nacht! „Der König will Ruhe! Nach
Hause! Nach Hause!" erschallt es durch die Menge, und in wenig Augen-
blicken ist der ganze Platz geleert.
Ausübung militärischer Pflichten, ernste und lange Beratungen mit
den Ministern, Audienzerteilunqen warteten ja des Königs nach seiner
Rückkehr in die Residenz.
Das königliche Palais ist vom Morgen bis zum Abend von Volks-
massen umdrängt, und so oft der König sich am Fenster zeigt, ist des
Beisalljauchzens kein Ende. Und wenn er im offenen Wagen ausführt,
wird er mit immer neuem Jubel begrüßt; es ist, als wollte jedermann
ihn durch seine Liebe und Begeisterung entschädigen für die ihm von
Frankreich angethane schwere Unbill. ' „Daheim."
176. Ein Sieg durch Gesang.
Die Elsässer waren, als das deutsche Heer 1870 nach den
ersten Siegen ins Land einrückte, voll Angst und Sorge. Sie
flohen überall in wilder Hast aus ihren Dörfern; denn man hatte
ihnen das Schlimmste von den Preussen erzählt. Vergebens war
alles Bemühen der Prediger, ihre Gemeinden zurückzuhalten.
So geschah es auch, dass die Bewohner eines Dorfes sich in
den nahen Bergwald flüchteten. Unten rückten die Preussen ein,
oben ans den Bergen standen die zitternden Elsässer. Nur der
Pfarrer war im Dorfe geblieben. Sofort erhält er den Auftrag,
die flüchtigen Bewohner zurückzuführen. Aber er erklärt, alle
seine Mühe sei bis jetzt vergeblich gewesen. Er eilt noch einmal