Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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verriet auf den ersten Blick den Soldaten; ein schärferes Auge entdeckte 
unter dem einfachen und leutseligen Wesen des alten Herrn den hochge 
borenen Fürsten. 
Es ist ein König, der alljährlich nach dem anstrengenden, arbeitsvollen 
Winter sich in Ems einige Wochen Erholung gönnt, obgleich er auch hier 
noch täglich stundenlang mit seinen Räten arbeitet. In dem warmen 
Sprudel, welcher hier heilkräftig der Thalsohle entquillt, will er sich er 
frischen und stärken zu neuer Arbeit. Die Bewohner des Städtchens, wie 
seine regelmäßigen Besucher, freuen sich jedesmal über seine Ankunft; jeder 
mann hat ihn lieb wie einen alten Freund. 
Vor allem ist er gern gesehen bei der Kinderwelt zn Ems. Wie 
denken sich die Kleinen doch einen König so ganz anders, ehe sie einen 
echten und wirklichen gesehen! Dieser trägt keine goldene Krone und keinen 
Purpurmantel, ja nicht einmal Zepter und Reichsapfel, wie sie's in den 
Bilderbüchern gesehen; er hat meist nur ein Stückchen in der einen, eine 
Zigarre in der andern Hand, gerade wie Papa, und er trägt gewöhnlich 
einen Hut und einen schwarzen Rock mit weißer Weste, gerade wie der Onkel; 
doch wenn er auch im Militärrocke und mit der Soldatenmütze spazieren 
geht, sieht er so freundlich und zntranenerweckend aus, daß sich keins vor 
ihm fürchtet. Und wenn eins ihm die Hand gibt, trotz Mamas Verbot, 
schilt er nicht, sondern lächelt freundlich und schüttelt das Händchen ganz 
herzlich. 
Nur wenige Wochen sollte dies friedliche Stillleben dauern. Wie 
ein Blitz aus heiterem Himmel fielen in dasselbe die Berichte von den 
leidenschaftlich aufgeregten Reden in Frankreichs Hauptstadt. Das glatte 
Gesicht des französischen Unterhändlers, der plötzlich im Bade auftaucht, 
scheint freilich keinen Stnrm zu künden; aber so oft es sich dem geraden 
deutschen Antlitz des Königs genaht, läßt es darauf Spuren einer nmnntigen 
Bewegung zurück. 
Immer rücksichtsloser wird die aus Paris ertönende Sprache, in so 
schöne Redensarten sie auch der gewandte Botschafter zu kleiden weiß; 
immer weiter gehen die Forderungen, mit denen man den friedlich seiner 
Kur lebenden Fürsten stört. 
Von der Promenade zurückgekehrt, ging der König in seinem Gemache 
erregt mit großen Schritten auf und ab. Vor seiner Seele lebten die 
Erinnerungen der alten Zeit wieder auf. Dreiundsechzig Jahre zurück 
— 1807 am 1. Januar war der zehnjährige Prinz Wilhelm ins Heer 
getreten, als seine Familie mit ihm flüchtig in Königsberg geweilt. Wenig 
fehlte damals, und der übermütige Korse hätte das Wort gesprochen': 
„Das Haus Hohenzollern hat aufgehört zu regieren!" Aber auf die 
Zeiten der Schmach war die Erhebung gefolgt; 1813 und 1814 — als kaum 
siebzehnjähriger Jüngling war der jetzt ergraute Mann damals an der 
Seite seines Vaters mit nach Paris gezogen. Und jetzt — sollten die 
alten Zeiten sich erneuern? 
Lange sinnend hatte der König so verweilt — jetzt richtete er das 
Haupt still und langsam empor. „Gott, du bist mein Zeuge," ruft er, 
„daß ich den Krieg nicht will; wenn sie mich aber dazu aufs neue 
zwingen, dann werde ich ihnen zeigen, daß auch der dreiundsiebzigjährige 
Mann noch vermag, was einst der siebenzehnjährige Jüngling vollbracht!"
	        
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