Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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Da senkte plötzlich der wilde Soldat die Todeswaffe, trat zur 
Wiege und legte seine rauhe Hand sanft auf des Kindes Haupt. 
Seine Lippen bewegten sich wie zum Grebete, und dicke Thränen- 
tropfen fielen über sein bärtiges Angesicht. Dann reichte er der 
Mutter die Hand und ging schweigend davon. Als aber die Frau 
nach einiger Zeit von den Knieen sich erhob und durch das kleine 
Fenster hinaussah, siehe, da stand der Franzose, das Grewehr im 
Arme, unter einem Birnbäume, der Hausthür gegenüber, ’ als stünde 
er da Wache, allen Schimpf und Schaden von dem Hause fern zu 
halten. Erst als der ganze Soldatentrupp, mit Beute beladen, ab 
zog, verliess er seinen Posten mit einem grösseren Schatze im 
Herzen als seine Kameraden in ihren Säcken. Heinrich. 
153. Was mich nicht brennt, das blas ich nicht. 
Wie mancher Hat schon gesagt: „Was mich nicht brennt, das blas' 
ich nicht!" und ist vorübergegangen, wo er Hätte Helfen sollen. So aber 
dachte der brave Christoph Kolbheim in einem Dörflein bei Dnderstadt 
nicht. Der war ein blutarmer Schelm und ein Witwer dazu und hatte 
drei Kinder, die gar oft sagten: „Vater, wir sind so hungrig!" — Das 
hört ein Vater gern, wenn er Brot genug hat und noch etwas dazu; 
aber wie schneidet das ins Herz, wenn kein Brot da ist! — Und just so 
ging es dem armen Kolbheim oft genug. Das Betteln verstand er nicht; 
aber er verstand Schuhe zu flicken, Kochlöffel zu schnitzen, Besen zu binden 
und solcher kleinen Künste mehr. Das that er denn auch so fleißig, daß 
er sich kümmerlich mit seinen Kindern durchbrachte; — aber es kam doch 
manch ein „langer Tag." 
Kolbheim hatte einen guten Freund, der hieß Volkmann; derselbe 
war auch ein Witwer und hatte sieben unerzogene Kinder. „Gleich 
und «gleich gesellt sich gern," heißt es im Sprichwort. Volkmann und 
seine Kinder hatten auch der Fasttage so viele, daß sie die Kunst des 
Hungerns bald hätten lernen können, wenn nicht das Lehrgeld gar zu 
schwer wäre. 
Da sagte einmal Volkmann zu seinem Busenfreunde: „Ich ziehe 
nach Lauterberg ins Hannöversche; dort ist mehr Verdienst." Gesagt — 
gethan! und der Hausrat kostete nicht viel Fracht. — Kolbheim wünschte 
ihm alles Gute; aber der Arme fand's in Lauterberg nicht; denn er er 
krankte und starb. — Die Lauterberger schickten die hungernden Kinder 
hin, wo sie hergekommen waren; die Bauern in dem Dorfe bei Dnderstadt 
dachten: „Was mich nicht brennt, das blas' ich nicht!" und ließen die 
hungernden Waisen laufen. Dachte auch der arme Kolbheim so? — Nein; 
der nahm die sieben Waisen seines Freundes in seine kleine Hütte zu seinen 
Kindern und sagte: „Herr, der du mit wenigen Broten Tausende gespeiset 
hast, hilf und verlaß mich nicht!" — 
Wenn die Not am größten, ist Gott am nächsten. Was Kolbheim 
gethan, wurde der Regierung in Erfurt bekannt, und diese schickte ihm 
vierzig Thaler zur ersten Hilfe. Und als König Friedrich Wilhelm III. 
von der Sache hörte, sandte er dem guten Kolbheim ein Kapitälchen, daß
	        
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