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5. So meldet sie dir manchen Traum
aus ihrer Vorzeit grauen Tagen
und sieht dabei des Lebens Baum
stets frisch an ihren Ufern ragen.
Es glänzen in der lichten Flut
der Klöster und der Burgen Trümmer,
des Mondes und der Sonne Glut
der Türme und der Segel Schimmer.
6. Und meerwärts durch ihr Felsenthor,
durch immer wechselnde Gefilde
strömt sie die Welle leicht hervor,
wie jugendliche Traumgebilde.
In ihren Tiefen, klar und rein,
hörst du es seltsam wehn und rauschen,
und kannst bei stillem Abendschein
der Nixe Wunderlied belauschen.
Dingelstedt.
149. Am Westerwalde.
Nassau, das reizende Stück von Gottes Erdboden mit seinen etwa
100 Quadratmeilen, wie ein buntes Tuch am Rheine ausgebreitet und
von zwei bedeutenden Falten, dem Taunus und dem Westerwalde,
durchzogen, ist eine wahre Perle unter den deutschen Landen. Dort
ziehen sich die beiden Gebirgszüge, mehrere tausend Fuß hoch, hin. Der
Salzburger Kopf auf dem Westerwalde, wenigstens 2000 Fuß hoch,
ein ziemlich isolirter Bergriese, beherrscht das Gebirge, wie die fruchtbaren
nassen Auen, welche Rhein, Main, Lahn und Wied durchströmen.
Drüben droht der Feldberg und der Altkönig vom Taunus herüber;
hier breiten sich auf dem Rücken des Waldes kahle Hochflächen aus;
tiefer beginnt der üppige Holzwuchs der gemischten Wälder, indes drimten
am Fuße des Westerwaldes links und rechts freundliche Städte winken;
Städte und Dörfer, die Köstliches unter ihren Füßen bergen und sich
doch nicht, wie unweit davon die Bergmannsscharen, abmühen dürfen.
Nein, diese Schätze brechen hervor in den zahlreichen Gesundheits
wässern, in den Heilquellen des Landes, wie der Menschheit über
haupt ; Tausenden haben sie Gesundheit und Leben erhalten; viele tausend
Krüge gehen noch jetzt alle Jahre außer Lands und bringen dem Lande
in manchen Jahren allein mehrere 100 OM Thlr. Reinertrag. Die be
rühmtesten Quellen und Bäder, deren Ruf ein Weltruf ist, sind zu
Ql>er- und Niederselters, Braubach am Rheine, Wiesbaden,
Ems, Schlangenbad, Langenschwalbach, Fachingen, Geilnau
und Montabaur. Was mittelbar dem Lande durch die vielen Bade
gäste zufließt,. ist wiederum von höchster Bedeutung, und mancher gedenkt
unter diesen lieber des nicht so gut mundenden Sauerbrunnens als des
ebenfalls auf nassauischem Grunde wachsenden Rheinweines, des Rüdes-
heimers, Hochheimers, Johannisbergers, Asmannshäusers
und wie die feurigen Rheinkinder noch heißen. Am meisten sind unter
den Trinkquellen Selters, (Niederselters liegt unweit Limburg),
welches 1525 entdeckt wurde, und unter den Bädern Wiesbaden und
Ems besucht. Selters verbraucht jährlich 2000000 Kannen Mineral
wasser. Was aber mit dieser Versendung von Mineralwässern notwendig
zusammenhängt, ist der ungeheure Verbrauch von Thongeschirren, dem
sogenannten „grohen Steingute". Auch dafür hat der Schöpfer dem
Lande zugleich unterirdische Schatzkammern gegeben. Ich meine die
ungeheuren Thonlager von oft 30 Fuß Mächtigkeit am westlichen Abhange
des Westerwaldes. Der Ensgergan gleicht einer gewaltigen kalifornischen
Goldgräberkolonie; da wird gegraben, gewaschen, getreten, gekarrt — aber