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denn wie lange werde ich noch reiten? — sondern nur wegen
meiner Söhne seufzte ich in der finstern Nacht: „Herr, erhalte
uns!“ — Kaum hatte ich es heraus, als es anfing zu dämmern
und der Morgenstern mir ins Auge blitzte. „Wie schön leuchtet
der Morgenstern!“ fiel mir in diesem Augenblick aus meiner Jugend
zeit ein; gar manches, was ich seitdem gethan, und — was wohl
nicht allemal recht war, hing sich wie eine Bleilast daran; ich
rechnete nach, seit wieviel Jahren ich in keine Kirche gekommen,
und ich that Gott das Gelübde, wenn ich diesmal davon käme,
wieder einmal eine Andacht zu halten. Dies hab’ ich denn nun
gethan, und er kann wohl denken, ob mir's zu Herzen ging, als
wir sangen: „Du Herr bist’s, der mich diese Nacht durch deine
Engel hat bewacht!“
Mit diesen Worten setzte er sich auf und ritt davon.
Heinrich.
144. Das Wnpperthal.
Die Wupper, welche ein sehr starkes Gefälle hat, beschreibt einen
großen Bogen mit vielen Ausbiegungen und zeigt an ihren Ufern eine
sehr lebhafte Betriebsamkeit. Es gibt wohl keinen zweiten Fluß, der so
viel arbeiten muß als die unermüdliche Wupper. Auf einer Strecke von
ungefähr 40 km ziehen sich ohne Unterbrechung Eisenhämmer, Schleif
mühlen, Spinnereien, Öl-, Mahl- und Papiermühlen, Färbereien, Bleiche
reien, Tuchfabriken re. hin. Von früh bis spät klappert und klopft,
schnurrt und raffelt, dampft und qualmt es ohne Aufhören, daß man sich
Augen und Ohren zuhalten möchte. Da werden denn besonders vorzüg
liche Eisenwaren gefertigt, die weithin berühmt sind. Die Stadt Solingen
liefert Degen- und Schwertklingen von größter Feinheit und Güte. (Zu
Solingen sprach ein Schmied bei jedem Bajonette, das seinem Fleiß geriet:
„Ach, daß der Fritz es hätte.") In Remscheid werden Sägen, Sicheln,
Zangen, Beile, Spaten, Schlittschuhe, Pflugscharen re. gefertigt, und
Lennep ist durch seine Tuche berühmt. Die größten Städte hier sind
Elberfeld und Barmen. Beide hängen wie eine Stadt zusammen. In
ihnen gibt es viele Seiden-, Baumwollen- und Leinenfabriken. Auf den
herrlichen, stundenlangen Wiesen bei Elberfeld und Barmen wird das seine,
weiße Garn gebleicht und aus den zahlreichen Wiesengräben mit Schaufeln
besprengt.
145. Ein gutes Rezept.
Kaiser Joseph in Wien war ein weiser und wohlthätiger
Monarch, wie jedermann weiss; aber nicht alle Leute wissen, wie
er einmal der Doktor gewesen ist und eine arme Frau kuriert
hat. Eine arme, kranke Frau sagte zu ihrem Bühlein: „Kind,
hol mir einen Doktor, sonst kann ich’s nimmer aushalten vor
Schmerzen.“ Das Büblein lief zum ersten Doktor und zum