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3. Ein Kindlein nur, des unbewusst,
verloren in des Spieles Lust,
fern von der sorglosen Mutter Hand,
sass auf dem Markt am Brunnenrand.
4. Wohl viele schauten von oben herab,
sie schauten geöffnet des Kindleins Grab,
sie rangen die Hände und weinten sehr
und blickten um Hilfe rings umher.
5. Doch keiner wagte, das eigene Leben
um des fremden willen dahin zu geben.
Denn schon verkündet ein nahes Gebrüll
das Verderben, das jeglicher meiden will.
6. Und schon mit der rollenden Augen Glut
erlechzt der Löwe des Kindleins Blut,
erhebt er drohend die grimmige
Klau’ —
o qualvoll herzzerreissende Schau!
7. So rettet nichts das zarte Leben,
dem grässlichsten Tode dahingegeben ?
Da plötzlich stürzet aus jenem Haus
mit fliegenden Haaren ein Weib heraus.
8. „Um Gottes willen, o Weib, halt ein!
Willst du dich selbst dem Verderben
weihn ?
Unglückliche Mutter, zurück den
Schritt!
Du kannst nicht retten, du stirbst
nur mit! “
9. Doch furchtlos fällt sie den Löwen an,
und aus dem Rachen mit scharfem Zahn
nimmt sie das unversehrte Kind
in ihren rettenden Arm geschwind.
10. Der Löwe stutzt, und unverweilt
mit dem Kinde die Mutter von dannen
eilt.
Da erkannte gerührt, so jung wie alt,
des Mutterherzens Allgewalt —
11. Und des Leuen großmütigen Sinn
zugleich.
Doch manche Mutter, von Schrecken
bleich,
sprach still: „Um des eigenen Kindes
Leben
hätt’ ich mich auch dahingegeben!“
Heruhardi.
7. Du sollst deine Eltern lieb und wert Haben.
Ein armer Zimmermann Hatte viele Kinder und konnte in teurer
Zeit die Seinigen nur kümmerlich ernähren. Außerdem beherbergte und
verpflegte er noch seinen alten, gliederlahmen Vater, den er zu sich ge
nommen hatte in sein Haus, wie einst Joseph seinen Vater im Lande
Gosen.
Eines Tages ging unser Zimmermann von der Arbeit heim und
kaufte unterwegs etwas Semmelbrot. „Das ist für meinen alten Vater,"
sagte er zu seinem Begleiter, der ein Maurer war; „er kann das harte
und schwarze Brot nicht mehr vertragen." — Darauf sagte der Maurer:
„Mein Gott, du hast eine schwere Last mit dem alten Mann. Wie froh
wirst du einmal sein und deine Frau dazu, wenn ihn Gott zu sich ge
nommen hat! Dann kannst du des Alten Ttnbe vermieten und das Geld
für das Essen sparen. Wie es dir jetzt geht, kannst du auf keinen grünen
Zweig kommen."
'„Lieber Freund," entgegnete der Zimmermann, „rede nicht so. Ich
sage dir, es lebt noch ein Bruder von mir; der hat sich schon oft er
boten, den alten Vater zu sich zu nehmen. Aber wir lassen ihn nicht, es
sei denn, daß Gott ihn rufe. — Wir beide, ich und meine Frau, sind
wie singende Vögel ans grünen Zweigen, wenn wir uns an das Bett des
Greises setzen können. Liegt irgend eine Sorge ans unserem Herzen, dann