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die freie Religionsübung beschränkt, obgleich sie bei der Übernahme den
Einwohnern feierlich zugesichert worden war. Alle lutherischen Beamten
wurden entsetzt, auf dem Lande sogar die Pfarrer vertrieben, eine Menge
Protestanten mußte auswandern, und nur mit Mühe entging ihr Glaube
einer gänzlichen Ausrottung. Überdies stellte Ludwig XIV. nur Franzosen
an, gab vielen Ortschaften neue französische Namen und befahl, die deutsche
Tracht abzulegen lind sich streng nach der neuesten französischen Mode zu kleiden.
Diesmal ließ sich unglücklicherweise der Kurfürst von Brandenburg
verleiten, mit Frankreich ein Bündnis einzugehen, und da zu gleicher Zeit
die Türken auf Frankreichs Anstiften in Österreich einfielen, so hatte
Ludwig am Rhein völlig freies Spiel. — Hätte der Kurfürst von
Brandenburg aus Groll über des Kaisers frühern Undank nicht stille
gesessen, so würde Straßburg nicht so leicht verloren gegangen sein. Es
kam noch dazu der alte Widerwille der Fürsten gegen die Städte. Mit
Schadenfreude sah man eine stolze Stadt fallen. Üngeheure Verblendung
hatte sich aller bemächtigt, denen die Sorge für unser großes Vaterland
anvertraut war. Prophetisch hatte Kaiser Karl V. gesprochen: „Wenn die
Franzosen vor Straßburg und die Türken vor Wien ständen, würde ich
Wien fahren lassen und Straßburg retten." Menzel.
139. Sprichwörter und Redensarten.
1. Grobheit und Stolz wachsen auf einem Holz. — Kunst bringt
Gunst. — Heute rot, morgen tot. — Mit Harren und Hoffen hat's
mancher getroffen. — Hoffen und Harren macht manchen zum Narren. —
Der Mensch denkt, Gott lenkt. — Steter Tropfen höhlt den Stein. —
Vom Verräter frißt kein Rabe. — Im Becher ertrinken mehr als im
Meer. — Stille Wasser gründen tief. —
2. Zwischen Thür und Angel stecken. — In ein Wespennest greifen. —
Um des Kaisers Bart streiten. — Den Mantel nach dem Winde hängen. —
Mit der Wurst nach dem Schinken werfen. — Im Trüben fischen. —
Wider den Strom schwimmen. — Aus der Hand in den Mund leben.-— Das
fünfte Rad am Wagen sein. — Vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. —
140. Die Tnrkenpfeife.
1. „Gott grüß euch, Alter! — Schmeckt das Pfeifchen? Weist her!
— Ein Blumentopf von rotem Thon mit goldnem Reifchen-. Was wollt
ihr für den Kopf?"
2. „O Herr! den Kopf kann ich nicht lassen; er kommt vom bravsten
Mann, der ihn, Gott weiß es, welchem Bassen bei Belgrad abgewann.
3. Ja, Herr, da gab es rechte Beute. — Es lebe Prinz Eugen!
Wie Grummet sah man unsre Leute der Türken Glieder mähn!"
4. „Ein andermal von euren Thaten! Hier, Alter, seid kein Tropf!
Nehmt diesen doppelten Dukaten für euren Pfeifenkopf!"
5. „Ich bin ein alter Kerl und lebe von meinem Gnadensold; doch,
Herr, den Pfeifenkops, den gebe ich nicht für alles Gold.
6. Hört nur! Einst jagten wir Husaren den Feind nach Herzenslust;
da schoß ein Hund von Janitscharen den Hauptmann in die Brust.
Teutsches Lesebuch. Ausgabe 0. V. Teil. 10