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vergessen. Wenn mancher, der ins Zuchthaus wandert oder noch höher
hinauf, etwa auf den Galgen oder aufs Schaffot, zweimal mit diesen
beiden Maßstäben gemessen hätte, ehe er zugriff oder zuschlug: — er hätte
das Rechte nicht vergessen, und die Schande und noch viel mehr wäre
fern von ihm geblieben. Darum messet zweimal, ehe ihr handelt! Dann
bleibt viel Jammer, Elend und Not von euch fern; dann bleibt das
Herz so froh und frei, und der, welcher gesagt hat: „Mit dem Maße,
da ihr mit messet, wird man euch wieder messen," der blickt dann mild
und gnädig auf euch nieder und schüttet ein vollgerütteltes Maß des
Segens in euren Schoß. Darum: „Besser, zweimal gemessen, als einmal
das Rechte vergessen!" Schubert.
127. Liebet eure Feinde.
In den blutigen Verfolgungen, die Philipp II. von Spanien über
die Evangelischen in den Niederlanden verhängte, jagten zwei Häscher des
Königs einem armen Manne nach. Er floh auf das Eis. Eine kleine
Strecke vor ihm wollte ein weiter Riß ihm den Weg versperren. Doch
er sprang glücklich darüber. Sein erster Verfolger' aber stürzte hinein
und schwebte zwischen Tod und Leben. Da kehrte der Verfolgte um und
zog seinen eigenen Häscher heraus, damit er thatsächlich das Wort erfüllte:
„Liebet eure Feinde; segnet die euch fluchen; thut wohl denen, die euch
hassen; bittet für die, so euch beleidigen und verfolgen!" Ahlfeld.
128. Die Zerstörung Magdeburgs.
Als der dreissigjährige Krieg schon dreizehn Jahre ge
wütet hatte, sandte Gott — es war im Jahre 1630 — den be
drängten Evangelischen einen Retter ans dem Norden, den kriegs
kundigen , tapferen Schwedenkönig, Gustav Adolf. In ihm
ging auch den Magdeburger Bürgern ein lichter Stern der Hoff
nung auf. Denn schon lange belagerte der kaiserliche Feldherr
Tilly ihre Stadt. Aber die festen Wälle und Mauern hatten die
Einnahme bisher verhindert. Schliesslich ging den Belagerten
das Pulver aus, und Tilly machte eine letzte verzweifelte An
strengung, um die Stadt zu nehmen, ehe Gustav Adolf herankam.
Plötzlich jedoch liess er die Kanonade einstellen und schien sich
zum Abzüge zu rüsten. Die müden Bürger verliessen daher am
Morgen des 10. Mai die Wälle, um einige Stunden des lange
entbehrten Schlafes zu gemessen. Doch wie furchtbar war das
Erwachen! Tilly hatte in der Stille der Nacht sein Heer zu
einem Sturme geordnet und darum das Feuer auf einige Zeit ein
gestellt. Da die Festungswerke von den Verteidigern fast ganz
entblösst waren, so drangen die Kaiserlichen schnell in die Stadt
ein. Sie steckten dieselbe in Brand; ein Feuermeer breitete sich
von einem Ende bis zum anderen aus, und als das Dunkel der
Nacht hereinbrach, loderten die Flammen hoch zum Himmel empor.
Zehn Stunden später lag eine der reichsten Städte Deutschlands
in einem dampfenden Trümmerhaufen. Nur der Dom, ein Kloster
und eine Anzahl kleinerer Häuser am Ufer der Elbe waren stehen
geblieben. Drei Tage lang dauerte das Plündern und Morden der
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