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Wir hingen indes ganz gemächlich in den Ästen des geräumigen
Baumes, wußten aber durchaus nicht, wie wir herunterkommen sollten.
Lange riefen wir vergebens um Hilfe; endlich kam in der schon einge
tretenen Dämmerung ein Offizier auf der nahen Landstraße hergeritten.
Er hielt unser Rufen zuerst für irgend einen ihm angethanen Schabernack.
Endlich entdeckte er uns, hielt höchst verwundert sein Pferd an, kam näher
und schien immer noch seinen Augen nicht trauen zu wollen, noch zu be
greifen, wie dies seltsame Nest auf die alte Fichte geraten sei. Wir
mußten ziemlich lange von unserer Höhe unterhandeln, ehe er sich ent
schloß, nach der Stadt zurückzureiten, um Menschen. Leitern und einen
Wagen zu holen. Zuletzt ging alles gut vorüber; aber in dunkler Nacht
erst fuhren wir in Potsdam ein, den wenig beschädigten, nun leeren Ball
in unsern Wagen gepackt und die treue Gondel zu unsern Fiißen.
Fürst Pückler-Muskau.
125. Kaiser Karl am Grabe Luthers.
In Wittenberg, der starken Lutkerfeste,
ist Kaiser Karl, der Sieger, eingedrungen.
Wohl ist den Stamm zu fällen ihm gelungen,
doch neue Wurzeln schlagen rings die Aste.
In Luthers Feste hausen fremde Gräste,
doch Luthers Geist, der bleibet unbezwungen;
da, wo des Geistes Schwert er hat geschwungen,
da ruhen billig auch des Leibes Reste.
Am Grabe steht der Kaiser, tief gerühret.
„Auf denn, und räche dich an den Gebeinen,
den Flammen gib sie preis, wie sich gebühret!“
So hört man aus der Diener Tross den einen.
Der Kaiser spricht: „Den Krieg hab’ ich geführet
mit Lebenden; um Tote lasst uns weinen.“
Hagenbach.
126. Besser, zweimal gemessen, als einmal das Rechte
vergessen.
Das Sprichwort habe ich unlängst meinem Schneider ins Ohr ge
rufen, als er mir die Hose verdarb; sie war nämlich zu kurz und zu
enge. Er sagte: „Ich will mir's hinter das Ohr schreiben." Aber meine
Hose war verpfuscht. — Ich meine, das Sprichwort träfe auch bei andern
Leuten zu als bei dem Schneider. Lieber zweimal gemessen, das heißt
auch: „Älles, was du thust, sei wohlerwogen, wohl bedacht! Leichtsinnig
gefahren bringt nichts Gutes. Da wird meistens das Rechte vergessen,
und nachkommt die Reue, die ist dann teuer erkauft." Wenn mancher,
der durch Betrügerei und Bestechung um Amt, Brot und Ehre kam,
zweimal gemessen hätte, ob das auch recht sei, der hätte das Rechte nicht
vergessen. — Um zu messen, braucht man kein besonderes Maß, sondern
das Gewissen und Gottes Wort, das man allezeit im Herzen haben soll.
Mit diesen beiden einmal, zweimal gemessen, dann wird das Reckte nicht