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allen Seiten uns umzingelnd, immer näher heran. Wir aber stiegen noch
schneller und waren schon hoch über ihnen, als sie endlich in der Tiefe
zusammenstießen und wie ein vom Sturm bewegtes, wogendes Meer sich
über- und durcheinander wälzten und die Erde bald gänzlich unserm
Blicke entzogen. Nur zuweilen zeigte sich hier und da ein unergründlicher
Schacht, vom Sonnenlichte grell erhellt wie der Krater eines feuerspeienden
Berges, und schloß sich dann wieder durch neue Massen, die in ewigem
Gären, bald blendend weiß, bald dunkel, bald schwarz, fort und fort sich
hier übereinander türmten, dort bodenlose Spalten und Abgründe bildeten.
Nie habe ich auf Bergen etwas Ähnliches erlebt.
Höchst seltsam ist auch das Gefühl gänzlicher Einsamkeit in diesen,
von allem Irdischen scheinbar abgezogenen Gegenden. Man könnte sich
fast schon auf dem Wege hinüber glauben, als eine Seele, die zum Jen
seits aufflöge. Die Natur ist hier ganz lautlos; selbst den Wind bemerkt
man nicht, da man ihm keinen Widerstand leistet und vom leisesten Hauche
fortgeweht wird. Nur um sich selbst drehte sich zuweilen die kleine Wiege
mit ihren: übergroßen Balle, gleich einem Vogel, der sich im blauen Äther
schaukelt.
Wir fingen an zu sinken und mußten mehrere Male von dem sparsam
werdenden Ballaste auswerfen, um wieder zu steigen. So hatten wir
fast unbemerkt uns in das Wolkenmeer getaucht, das uns nun ringsum
wie dichte Schleier umgab, durch welche die Sonne nur wie der Mond
schien, eine Beleuchtung von seltsamer Wirkung, die eine geraume Zeit
anhielt. Endlich zerteilten sich die Wolken und schifiten nur noch einzeln
an dem wieder klar und blau gewordenen Himmel umher. Als sollte nun
unserer glücklichen Fahrt auch selbst das seltenste Ereignis nicht fehlen, so
erblickten wir jetzt erstaunt auf einem der größten Wolkengebirge das treue
Abbild unserer Personen und unseres Balles, aber in riesenhaften Größen
und von bunten Regenbogenfarben umgeben. Wohl eine halbe Stunde
schwebte uns das gespenstige Spiegelbild fortwährend zur Seite, jeder
dünne Bindfaden des uns umgebenden Netzes zum Schiffstaue ange
schwollen, wir selbst aber gleich zwei mächtigen Riesen auf dem Wolken
meere thronend.
Gegend Abend ward es wieder trübe in der Höhe. Wir fielen mit
beunruhigender Schnelle. Ein dichter Nebel umgab uns eine Weile. Als
wir nach wenig Minuten durch ihn herabgesunken waren, lag plötzlich von
neuem die Erde im hellsten Sonnenscheine unter uns, und die Türme von
Potsdam, die wir schon deutlich unterscheiden konnten, begrüßten uns.
Wir waren im vollkommensten Fallen begriffen und sahen dabei nichts
unter uns als Wasser (die vielen Arme und Seeen der Havel), nur hie
und da mit Wald untermischt, auf den wir uns möglichst hinzulenken
suchten. Der Wald schien mir aus der Höhe nur wie ein niedriges Dickicht,
dem wir uns jetzt mit größter Schnelligkeit näherten. Es währte auch
nicht lange, so hingen wir wirklich in den Ästen eines dieser — Sträucher.
Ich machte schon Änstalt zum Aussteigen, als mir Herr Reichardt zurief:
„Um Himmels willen! Rühren Sie sich nicht; wir sitzen auf einer großen
Fichte." So sehr hatte ich in kurzem den gewöhnlichen Maßstab verloren,
daß ich mehrerer Sekunden bedurfte, ehe ich mich überzeugen konnte, daß
seine Behauptung ganz wahr sei.
Deutsches Lesebuch. Ausgabe 0. V. Teil.
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