Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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allen Seiten uns umzingelnd, immer näher heran. Wir aber stiegen noch 
schneller und waren schon hoch über ihnen, als sie endlich in der Tiefe 
zusammenstießen und wie ein vom Sturm bewegtes, wogendes Meer sich 
über- und durcheinander wälzten und die Erde bald gänzlich unserm 
Blicke entzogen. Nur zuweilen zeigte sich hier und da ein unergründlicher 
Schacht, vom Sonnenlichte grell erhellt wie der Krater eines feuerspeienden 
Berges, und schloß sich dann wieder durch neue Massen, die in ewigem 
Gären, bald blendend weiß, bald dunkel, bald schwarz, fort und fort sich 
hier übereinander türmten, dort bodenlose Spalten und Abgründe bildeten. 
Nie habe ich auf Bergen etwas Ähnliches erlebt. 
Höchst seltsam ist auch das Gefühl gänzlicher Einsamkeit in diesen, 
von allem Irdischen scheinbar abgezogenen Gegenden. Man könnte sich 
fast schon auf dem Wege hinüber glauben, als eine Seele, die zum Jen 
seits aufflöge. Die Natur ist hier ganz lautlos; selbst den Wind bemerkt 
man nicht, da man ihm keinen Widerstand leistet und vom leisesten Hauche 
fortgeweht wird. Nur um sich selbst drehte sich zuweilen die kleine Wiege 
mit ihren: übergroßen Balle, gleich einem Vogel, der sich im blauen Äther 
schaukelt. 
Wir fingen an zu sinken und mußten mehrere Male von dem sparsam 
werdenden Ballaste auswerfen, um wieder zu steigen. So hatten wir 
fast unbemerkt uns in das Wolkenmeer getaucht, das uns nun ringsum 
wie dichte Schleier umgab, durch welche die Sonne nur wie der Mond 
schien, eine Beleuchtung von seltsamer Wirkung, die eine geraume Zeit 
anhielt. Endlich zerteilten sich die Wolken und schifiten nur noch einzeln 
an dem wieder klar und blau gewordenen Himmel umher. Als sollte nun 
unserer glücklichen Fahrt auch selbst das seltenste Ereignis nicht fehlen, so 
erblickten wir jetzt erstaunt auf einem der größten Wolkengebirge das treue 
Abbild unserer Personen und unseres Balles, aber in riesenhaften Größen 
und von bunten Regenbogenfarben umgeben. Wohl eine halbe Stunde 
schwebte uns das gespenstige Spiegelbild fortwährend zur Seite, jeder 
dünne Bindfaden des uns umgebenden Netzes zum Schiffstaue ange 
schwollen, wir selbst aber gleich zwei mächtigen Riesen auf dem Wolken 
meere thronend. 
Gegend Abend ward es wieder trübe in der Höhe. Wir fielen mit 
beunruhigender Schnelle. Ein dichter Nebel umgab uns eine Weile. Als 
wir nach wenig Minuten durch ihn herabgesunken waren, lag plötzlich von 
neuem die Erde im hellsten Sonnenscheine unter uns, und die Türme von 
Potsdam, die wir schon deutlich unterscheiden konnten, begrüßten uns. 
Wir waren im vollkommensten Fallen begriffen und sahen dabei nichts 
unter uns als Wasser (die vielen Arme und Seeen der Havel), nur hie 
und da mit Wald untermischt, auf den wir uns möglichst hinzulenken 
suchten. Der Wald schien mir aus der Höhe nur wie ein niedriges Dickicht, 
dem wir uns jetzt mit größter Schnelligkeit näherten. Es währte auch 
nicht lange, so hingen wir wirklich in den Ästen eines dieser — Sträucher. 
Ich machte schon Änstalt zum Aussteigen, als mir Herr Reichardt zurief: 
„Um Himmels willen! Rühren Sie sich nicht; wir sitzen auf einer großen 
Fichte." So sehr hatte ich in kurzem den gewöhnlichen Maßstab verloren, 
daß ich mehrerer Sekunden bedurfte, ehe ich mich überzeugen konnte, daß 
seine Behauptung ganz wahr sei. 
Deutsches Lesebuch. Ausgabe 0. V. Teil. 
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