Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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stürzenden Gewässer regelt. Von kahlen Gebirgen ergießen sich die Ge 
witterfluten verwüstend ins Thal. Vom Waldgebirge, das sie durch 
Stamm, Äste, Zweige, Laub — das sie durch Gras, Moos und lockern 
Boden erst sammelt und allmählich abgibt, nehmen solche Regengüsse 
langsam und segenbringend den Weg in die Ebene. — Und was in der 
ganzen Welt könnte uns den Genuß ersetzen, den unser Geist und Herz 
sich aus dem Walde holt! Wollt ihr den Reichtum der Pflanzenwelt 
kennen lernen, so ist euch der Wald eine reiche Fundgrube. Mögt ihr 
lieber die Gestalt der Tiere beobachten, ihr Leben ins Auge fassen, so 
ist euch der Wald ein Schatzkästlein, das ihr nimmer ausleeren werdet. 
Der Reichtum des Lebens im grünen Wald, der Einklang, in welchem 
die zahllosen Wesen dort stehen und ein so wohl geordnetes Ganze bilden, 
das spricht gar laut zu unserem Gemüte. Die frische Waldluft weht uns 
die Sorgen von der Stirn, und das muntere Lied der Vögel^rnacht uns 
das Herz fröhlich. Aber selbst wenn der Wald vom weißen Schneetuche 
des Winters bedeckt ist, so werden noch die dunkelgrünen Tannen und 
die Knospen der Laubhölzer zu Predigern, welche uns ein neues Leben 
nach dem Todesschlafe des Winters ankündigen. — Wir wissen nun, 
warum die Sänger so gern das schöne Lied singen: 
„Wer hat dich, du schöner Wald, 
aufgebaut so hoch da droben? 
Wohl, den Meister will ich loben, 
so lang' noch mein' Stimm' erschallt!" 
Nach H. Wagner. 
121. Im Walde. 
1. O Thäler weit, o Höhen, 
o schöner, grüner Wald, 
du meiner Lust und Wehen 
andächt'ger Aufenthalt! 
3. Da steht im Wald geschrieben 
ein stilles, ernstes Wort 
von rechtem Thun und Lieben 
unb was des Menschen Hort. 
Ich habe treu gelesen 
die Worte schlicht und wahr, 
und durch mein ganzes Wesen 
ward's unaussprechlich klar. 
Da draußen, stets betrogen, 
saust die geschäft'ge Welt; 
schlag noch einmal die Bogen 
um mich, du grünes Zelt! 
2. Wenn es beginnt zu tagen, 
die Erde dampft und blinkt, 
die Vögel lustig schlagen, 
4. Bald werd' ich dich verlassen, 
fremd in der Fremde gehn, 
auf buntbewegten Gassen 
daß dir dein Herz erklingt: 
da mag vergehn, verwehen 
das trübe Erdenleid, 
des Lebens Schauspiel sehn; 
und mitten in dem Leben 
wird deines Ernsts Gewalt 
mich Einsamen erheben; 
da sollst du auferstehen 
in junger Herrlichkeit! 
so wird mein Herz nicht alt. 
v. Eichendorff.
	        
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