Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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103. Femgerichte. 
Zu den Zeiten des Faustrechts entstanden in Westfalen die 
Femgerichte. Ihre obersten Richter hiessen Freigrafen, die übrigen 
Mitglieder Freischöffen oder auch „Wissende“, weil sie um die 
Geheimnisse der Feme wussten. Nur freie Männer durften in die 
Femgerichte aufgenommen werden, und da man sich wohl hütete, 
s einem Mitgliede der heiligen Feme Übles zu thun, so zählte sie 
zur Blütezeit an 100 000 Wissende aus allen deutschen G-auen. 
Die Wahl aber durfte nur in Westfalen auf roter Erde vollzogen 
werden. Mit ihr waren allerlei Förmlichkeiten verknüpft. Wer 
g ewählt werden wollte, wurde in die mit einem Strick umzogene 
erichtsstätte geführt. Mit entblöfstem Haupte kniete er vor dem 
Freigrafen nieder, der vor einem Tische safs, auf welchem zwei ge 
kreuzte Schwerter und ein Strick lagen. Auf diese legte das neue 
Mitglied seine Hand und schwur mit einem Eide, die Feme heilig 
zu halten vor Weib und Kind, vor Sand und Wind, vor allem, 
was Gott hat lassen werden zwischen Himmel und Erden. Dann 
wurde ihm die Losung, woran sich die Freischöffen erkannten, 
mitgeteilt. Sie bestand aus den vier Worten: Strick, Stein, 
Gras, Grein. 
Auf der „Malstätte“ wurde das Gericht abgehalten. Dort 
bestieg der Freigraf den „Freistuhl“. Dieser befand sich stets 
unter freiem Himmel, gewöhnlich unter einer Linde. Der oberste 
Freistuhl war in Dortmund unter der Femlinde, die noch heute 
als Zeuge jener Gerichtsstätte dasteht. Um den steinernen Tisch 
zogen sich drei steinerne Bänke für die Schöffen. Auf dem Tische 
stand der deutsche Reichsadler. Hier lagen auch Schwert und 
Strick, die Zeichen des Rechts über Leben und Tod. 
Wenn jemand bei dem Femgericht verklagt war, so ward er 
durch den Ladebrief mit 7 Siegeln vorgeladen. War er ein Ritter, 
der auf seiner Raubburg verschlossen wohnte, so hefteten die 
Fronboten die Ladung des Nachts an das Thor, schnitten aus 
demselben drei Späne als Wahrzeichen und schlugen dreimal laut 
gegen die Thorflügel, dass der furchtbare Klang durch die stille 
Nacht in das Ohr des Verbrechers drang. Späterhin erschienen 
die Richter auch zuweilen um Mitternacht auf dem Kirchhofe des 
Ortes, wo sich der Verbrecher befand. Dann wurden beim ersten 
Morgengrauen die Sturmglocken geläutet, und gross und klein 
musste sich in der Nähe in einem grossen Kreise aufstellen. 
Erschien der Angeklagte auf die Ladung, so ward er in den 
Kreis der Richter mit verbundenen Augen geführt. Die Schöffen 
mussten um ihn einen Kreis Schliessen. Sie standen mit entblöfstem 
Haupte und ohne Waffen da. Tiefe Stille herrschte. Der Ge 
ladene musste ebenfalls ohne Waffen erscheinen. Mit seinen Eides 
helfern (Zeugen), wenn er solche hatte, trat er vor. Jetzt ward 
ihm die Anklage vorgelesen. Bekannte er sich schuldig, oder 
wurde er überführt, so sprachen die Schöffen das Urteil; war es 
die Todesstrafe, so wurde er sofort, meistens von dem jüngsten
	        
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