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den flüchtigen Gemsbock zu jagen;
ihm folgte der Knapp' mit dem Jäger-
geschoß;
und als er auf seinem stattlichen Roß
in eine Au' kommt geritten,
ein Glöcklein hört er erklingen fern —
ein Priester war's mit dem Leib des
Herrn,
voran kam der Mesner geschritten.
7. Und der Graf zur Erde sich neiget hin,
das Haupt mit Demut entblößet,
zu verehren mit gläubigem Christen
sinn,
was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschte durchs Feld,
von des Gießbachs reißenden Fluten
geschwellt,
das hemmte der Wanderer Tritte;
und beiseit' legt jener das Sakrament,
von den Füßen zieht er die Schuhe
behend,
damit er das Bächlein durchschritte.
8. Was schaffst du? redet der Graf ihn
an,
der ihn verwundert betrachtet.
Herr, ich walle zu einem sterbenden
Mann,
der nach der Himmelskost schmachtet;
und da ich niich nahe des Baches
Steg,
da hat ihn der strömende Gießbach
hinweg
im Strudel der Wellen gerissen.
Drum, daß dem Lechzenden werde sein
Heil,
so will ich das Wässerlein jetzt in
Eil'
durchwaten mit nackenden Füßen.
9. Da setzt ihn der Graf auf sein ritter
lich Pferd
und reicht ihm die prächtigen Zäume,
daß er labe den Kranken, der sein be
gehrt,
und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Tier
vergnüget noch weiter des Jagens
Begier,
der andre die Reise vollführet.
Und am nächsten Morgen mit danken
dem Blick
da bringt er dem Grasen sein Roß
zurück,
bescheiden am Zügel geführet.
10. Richt wolle das Gott, rief mit Demut
sinn
der Graf, daß zum Streiten und
Jagen
das Roß ich beschritte fürderhin,
das meinen Schöpfer getragen!
Und magst du's nicht haben zu eignem
Gewinst,
so bleib' es gewidmet dem göttlichen
Dienst!
Denn ich hab' es dem ja gegeben,
von dem ich Ehre und irdisches Gut
zu Lehen trage und Leib und Blut,
und Seele und Atem und Leben.
11. So mög' auch Gott, der allmächtige
Hort,
der das Flehen der Schwachen erhöret,
zu Ehren euch bringen hier und dort,
so wie ihr jetzt ihn geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
durch ritterlich Walten im Schweizer
land,
euch blühen sechs liebliche Töchter.
So mögen sie. rief er begeistert aus,
sechs Kronen euch bringen in euer
Haus
und glänzen die spät'sten Geschlechter!^
12. Und mit sinnendem Haupt saß der
Kaiser da,
als dächt' er vergangener Zeiten;
jetzt, da er dem Sänger ins Auge sah,
da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er
schnell
und verbirgt der Thränen stürzenden
Quell
in des Mantels purpurnen Falten.
Und alles blickte den Kaiser an
und erkannte den Grafen, der das
gethan,
und verehrte das göttliche Walten.
Schiller.