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rief den Kaufmann herein. „Du hattest ja eine Klage gegen diesen
Mann." Der Kaufmann wiederholte feine Geschichte, und der Wirt
leugnete sie trocken weg. Beide gerieten heftig aneinander, als auf ein
mal der Kaiser den Beutel hervorzog und den Wirt wie mit einem
Zauberstabe zur Bildsäule verwandelte. Er gab ihm einen derben Ver
weis und verurteilte ihn zu einer noch härteren Geldstrafe.
Nach Haupt und Becker.
99. Der Graf
1. Zu Aachen in seiner Kaiserpracht,
im altertümlichen Saale,
saß König Rudolfs heilige Macht
beim festlichen Krönungsmahle.
Die Speisen trug der Pfalzgraf des
Rheins,
es schenkte der Böhme des perlenden
Weins,
und alle die Wähler, die sieben,
wie der Sterne Chor um die Sonne
sich stellt,
umstanden geschäftig den Herrscher der
Welt,
die Würde des Amtes zu üben.
2. Und rings erfüllte den hohen Balkon
das Volk in freud'gem Gedränge;
laut mischte sich in der Posaunen Ton
das jauchzende Rufen der Menge;
denn geendigt nach langem, verderb
lichem Streit
war die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
und ein Richter war wieder auf Erden;
nicht blind mehr waltet der eiserne
Speer,
nicht fürchtet der Schwache, der Fried
liche mehr,
des Mächtigen Beute zu werden.
3. Und der Kaiser ergreift den goldnen
Pokal
und spricht mit zufriedenen Blicken:
„Wohl glänzet das Fest, wohl pranget
das Mahl,
mein königlich Herz zu entzücken;
doch den Sänger vermiss' ich, den
Bringer der Lust,
der mit süßem Klang mir bewege die
Brust
von Habsburg.
und mit göttlich erhabenen Lehren.
So hab' ich's gehalten von Jugend an,
und was ich als Ritter gepflegt und
gethan,
nicht will ich's als Kaiser entbehren." —
4. Und sieh, in der Fürsten umgebenden
Kreis
trat der Sänger im langen Talare;
ihm glänzte die Locke silberweiß,
gebleicht von der Fülle der Jahre.
„Süßer Wohllaut schläft in der Saiten
Gold,
der Sänger singt von der Minne Sold,
er preiset das Höchste, das Beste,
was das Herz sich wünscht, was der
Sinn begehrt;
doch sage, was ist des Kaisers wert
an seinem herrlichsten Feste?"
5. „Richt gebieten werd' ich dem Sänger,"
spricht
der Herrscher mit lächelndem Munde,
„er steht in des größeren Herren Pflicht,
er gehorcht der gebietenden Stunde.
Wie in den Lüften der Sturmwind
saust,
man weiß nicht, von wannen er kommt
und braust,
wie der Quell aus verborgenen Tiefen,
so des Sängers Lied aus dem Innern
schallt
und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt,
die im Herzen wunderbar schliefen."
6. Und der Sänger rasch in die Saiten
fällt
und beginnt sie mächtig zu schlagen:
„Aufs Weidwerk hinaus ritt ein edler
Held,