Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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baute er sich eine Horde aus zusammengelegtem Holz, mit Reis 
durchflochten, und setzte sie aufs Meer. Als nun einmal der Löwe 
in den Wald gegangen war, bestieg Heinrich das Fahrzeug und 
stiefs vom Ufer ab. Der Löwe aber, welcher zurückkehrte und 
seinen Herrn nicht mehr fand, kam zum Gestade und erblickte 
ihn aus weiter Ferne; alsobald sprang er in die Wogen und 
schwamm so lange, bis er auf dem Floss bei dem Herzog war, 
zu dessen Füssen er sich ruhig niederlegte. Hierauf fuhren sie eine 
Zeitlang auf den Meereswellen, bald überkam sie Hunger und Elend. 
Der Held betete und wachte, hatte Tag und Nacht keine 
Ruhe. Da erschien ihm der böse Teufel und sprach: „Herzog, ich 
bringe dir Botschaft; du schwebst hier in Pein und Not auf dem 
offenen Meere, und daheim zu Braunschweig ist lauter Freude. 
Heut an diesem Abend hält ein Fürst aus fremdem Lande Hochzeit 
mit deinem Weibe; denn die gesetzten sieben Jahre seit deiner 
Ausfahrt sind verstrichen.“ Traurig versetzte Heinrich, das möge 
wahr sein, doch wolle er sich zu Gott lenken, der alles wohl 
mache. „Du redest noch viel von Gott,“ sprach der Versucher, 
„das hilft dir nicht aus diesen Wasserwogen; ich aber will dich 
noch heute zu deiner Gemahlin führen, wofern du mein sein willst.“ 
Sie hatten ein langes Gespräch, der Herr wollte sein Gelübde 
gegen Gott, das ewige Licht, nicht brechen; da schlug ihm der 
Teufel vor, er wolle ihn ohne Schaden samt dem Löwen noch 
heut Abend auf den Giersberg vor Braunschweig tragen und hin 
legen, da solle er seiner warten; finde er ihn nach der Zurück 
kunft schlafend, so sei er ihm und seinem Reiche verfallen. Der 
Herzog, welcher von heifser Sehnsucht nach seiner geliebten Ge 
mahlin gequält wurde, ging dieses ein und hoffte auf des Himmels 
Beistand wider alle Künste des Bösen. Alsbald ergriff ihn der 
Teufel, führte ihn schnell durch die Lüfte bis vor Braunschweig, 
legte ihn auf dem Giersberg nieder und rief: „Nun wache, Herr, 
ich kehre bald wieder.“ Heinrich aber war aufs höchste ermüdet, 
und der Schlaf setzte ihm mächtig zu. Nun führ der Teufel 
zurück und wollte den Löwen, wie er verheifsen hatte, auch ab 
holen; es währte nicht lange, so kam er mit dem treuen Tiere 
daher geflogen. Als nun der Teufel, noch aus der Luft her 
unter, den Herzog in Müdigkeit versenkt auf dem Giersberge 
ruhen sah, freute er sich schon im voraus; allein der Löwe, der 
seinen Herrn für tot hielt, hub laut zu schreien an, dass Heinrich 
in demselben Augenblicke erwachte. Der böse Feind sah nun sein 
Spiel verloren und bereute es zu spät, das wilde Tier herbeigeholt 
zu haben; er warf den Löwen aus der Luft herab zu Boden, dass 
es krachte. Der Löwe kam glücklich ans den Berg zu seinem 
Herrn, welcher Gott dankte und sich aufrichtete, um, weil es 
Abend werden wollte, hinab in die Stadt Braunschweig zu gehen. 
Nach der Burg war sein Gang, und der Löwe folgte ihm 
immer nach, grosses Getöne scholl ihm entgegen. Er wollte in 
das Fürstenhaus treten, da riefen ihn die Diener zurück. „Was 
heisst das Getön und Pfeifen,“ rief Heinrich aus, „sollte doch wahr 
sein, was mir der Teufel gesagt ? Und ist ein fremder Herr in diesem
	        
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