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baute er sich eine Horde aus zusammengelegtem Holz, mit Reis
durchflochten, und setzte sie aufs Meer. Als nun einmal der Löwe
in den Wald gegangen war, bestieg Heinrich das Fahrzeug und
stiefs vom Ufer ab. Der Löwe aber, welcher zurückkehrte und
seinen Herrn nicht mehr fand, kam zum Gestade und erblickte
ihn aus weiter Ferne; alsobald sprang er in die Wogen und
schwamm so lange, bis er auf dem Floss bei dem Herzog war,
zu dessen Füssen er sich ruhig niederlegte. Hierauf fuhren sie eine
Zeitlang auf den Meereswellen, bald überkam sie Hunger und Elend.
Der Held betete und wachte, hatte Tag und Nacht keine
Ruhe. Da erschien ihm der böse Teufel und sprach: „Herzog, ich
bringe dir Botschaft; du schwebst hier in Pein und Not auf dem
offenen Meere, und daheim zu Braunschweig ist lauter Freude.
Heut an diesem Abend hält ein Fürst aus fremdem Lande Hochzeit
mit deinem Weibe; denn die gesetzten sieben Jahre seit deiner
Ausfahrt sind verstrichen.“ Traurig versetzte Heinrich, das möge
wahr sein, doch wolle er sich zu Gott lenken, der alles wohl
mache. „Du redest noch viel von Gott,“ sprach der Versucher,
„das hilft dir nicht aus diesen Wasserwogen; ich aber will dich
noch heute zu deiner Gemahlin führen, wofern du mein sein willst.“
Sie hatten ein langes Gespräch, der Herr wollte sein Gelübde
gegen Gott, das ewige Licht, nicht brechen; da schlug ihm der
Teufel vor, er wolle ihn ohne Schaden samt dem Löwen noch
heut Abend auf den Giersberg vor Braunschweig tragen und hin
legen, da solle er seiner warten; finde er ihn nach der Zurück
kunft schlafend, so sei er ihm und seinem Reiche verfallen. Der
Herzog, welcher von heifser Sehnsucht nach seiner geliebten Ge
mahlin gequält wurde, ging dieses ein und hoffte auf des Himmels
Beistand wider alle Künste des Bösen. Alsbald ergriff ihn der
Teufel, führte ihn schnell durch die Lüfte bis vor Braunschweig,
legte ihn auf dem Giersberg nieder und rief: „Nun wache, Herr,
ich kehre bald wieder.“ Heinrich aber war aufs höchste ermüdet,
und der Schlaf setzte ihm mächtig zu. Nun führ der Teufel
zurück und wollte den Löwen, wie er verheifsen hatte, auch ab
holen; es währte nicht lange, so kam er mit dem treuen Tiere
daher geflogen. Als nun der Teufel, noch aus der Luft her
unter, den Herzog in Müdigkeit versenkt auf dem Giersberge
ruhen sah, freute er sich schon im voraus; allein der Löwe, der
seinen Herrn für tot hielt, hub laut zu schreien an, dass Heinrich
in demselben Augenblicke erwachte. Der böse Feind sah nun sein
Spiel verloren und bereute es zu spät, das wilde Tier herbeigeholt
zu haben; er warf den Löwen aus der Luft herab zu Boden, dass
es krachte. Der Löwe kam glücklich ans den Berg zu seinem
Herrn, welcher Gott dankte und sich aufrichtete, um, weil es
Abend werden wollte, hinab in die Stadt Braunschweig zu gehen.
Nach der Burg war sein Gang, und der Löwe folgte ihm
immer nach, grosses Getöne scholl ihm entgegen. Er wollte in
das Fürstenhaus treten, da riefen ihn die Diener zurück. „Was
heisst das Getön und Pfeifen,“ rief Heinrich aus, „sollte doch wahr
sein, was mir der Teufel gesagt ? Und ist ein fremder Herr in diesem