Full text: V. Teil (5. Teil, 1889)

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irrte er, ohne Land zn finden. Bald fing den Reisenden die Speise 
an auszugehen, und der Hunger qnälte sie schrecklich. In dieser 
Not wurde beschlossen, Lose in einen Hut zu werfen; und wessen 
Los gezogen ward, der verlor das Leben und musste der andern 
Mannschaft mit seinem Fleische zur Nahrung dienen; willig unter 
warfen sich diese Unglücklichen und liessen sich für ihren geliebten 
Herrn und ihre Gefährten schlachten. So wurden die übrigen 
eine Zeitlang gefristet; doch schickte es die Vorsehung, dass 
niemals des Herzogs Los herauskam. Aber das Elend wollte kein 
Ende nehmen; zuletzt war bloss der Herzog mit einem einzigen 
Knechte noch auf dem ganzen Schiffe lebendig, und der schreck 
liche Hunger hielt nicht stille. Da sprach der Fürst: „Lass uns 
beide losen, und auf wen es fällt, von dem speise sich der andere.“ 
Über diese Zumutung erschrak der Knecht, doch dachte er, es 
würde ihn selbst betreffen und liess es zu; siehe, da fiel das Los 
auf seinen edlen, liebwerten Herrn, den jetzt der Diener töten 
sollte. Da sprach der Knecht: „Das thu’ ich nimmermehr, und 
wenn alles verloren ist, so hab' ich noch ein anderes ausgesonnen; 
ich will euch in einen ledernen Sack einnähen, wartet dann, was 
geschehen wird.“ Der Herzog gab seinen Willen dazu; der Knecht 
nahm die Haut eines Ochsen, den sie vordem auf dem Schiffe ge 
speist hatten, wickelte den Herzog darein und nähte sie zusammen, 
doch hatte er sein Schwert neben ihn mit hinein gesteckt. 
Nicht lange, so kam der Vogel Greif geflogen, fasste den 
ledernen Sack mit den Klauen und trug ihn durch die Lüfte über 
das weite Meer bis in sein Nest. Als der Vogel dies bewerkstelligt 
hatte, sann er auf einen neuen Fang, liess die Haut liegen und 
flog wieder aus. Mittlerweile fasste Herzog Heinrich das Schwert 
und zerschnitt die Nähte des Sackes; als die jungen Greifen den 
lebendigen Menschen erblickten, fielen sie gierig mit Geschrei über 
ihn her. Der teure Held wehrte sich tapfer und schlug sie sämt 
lich zu Tode. Als er sich aus dieser Not befreit sah, schnitt er 
eine Greifenklaue ab, die er zum Andenken mit sich nahm, stieg 
aus dem Neste den hohen Baum hernieder und befand sich in 
einem weiten, wilden Walde. In diesem Walde ging der Herzog 
eine gute Weile fort; da sah er einen fürchterlichen Lindwurm 
wider einen Löwen streiten, und der Löwe schwebte in grosser 
Not zu unterliegen. Weil aber der Löwe insgemein für ein edles 
und treues Tier gehalten wird und der Wurm für ein böses, 
giftiges, säumte Herzog Heinrich nicht, sondern sprang dem Löwen 
mit seiner Hilfe bei. Der Lindwurm schrie, dass es durch den 
Wald erscholl, und wehrte sich lange Zeit; endlich gelang es dem 
Helden, ihn mit seinem guten 8chwerte zu töten. Hierauf nahte 
sich der Löwe, legte sich zu des Herzogs Füssen neben den Schild 
auf den Boden und verliess ihn nimmermehr von dieser Stunde 
an. Denn als der Herzog nach Verlauf einiger Zeit, während 
welcher das treue Tier ihn mit gefangenem Hirsch und Wild 
ernährt hatte, überlegte, wie er aus dieser Einöde und der Gesell 
schaft des Löwen wieder unter die Menschen gelangen könnte, 
Deutsches Lesebuch. Ausgabe C. V. Teil. 7
	        
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