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im Stich. Der Kaiser bat ihn dringend um seinen Beistand, er fiel end
lich ihm zu Füßen und flehte, in der Stunde der Gefahr nicht von ihm
zu lassen. Umsonst, Heinrichs stolzer Sinn blieb unerbittlich. Da trat
die Kaiserin hinzu und sagte: „Stehet auf, lieber Herr! Gott wird
euch helfen, wenn ihr einst dieses Tages und dieses Hochmutes gedenkt."
Und der Kaiser erhob sich; Heinrich aber warf sich auf sein Pferd und
sprengte davon. Sein Trotz blieb nicht unbestraft. Friedrich kehrte nach
beendigtem Kampfe nach Deutschland zurück und lud nun den Herzog vor,
wegen' seines Ungehorsams sich auf einem Reichstage zu verantworten.
Da Heinrich nicht erschien, so wurde er in die Reichsacht erklärt und
verlor seine beiden Herzogtümer. Sachsen wurde an mehrere Fürsten
verteilt; Bayern erhielt der tapfere, dem Kaiser treu ergebene Otto von
Wittelsbach, der Stammvater des jetzigen bayerischen Fürstenhauses.
Zwar griff nun Heinrich der Löwe zu den Waffen, um sich seine Be
sitzungen zu erhalten; allein er vermochte sich gegen den Kaiser nicht zu
behaupten und bat diesen endlich fußfällig um Gnade. Friedrich hob den
gedemütigten Mann gütig auf und umarmte ihn voll Rührung. „Du
bist selbst die Ursache deines Falles," sprach er. Heinrich blieb zwar
der beiden Herzogtümer verlustig und mußte drei Jahre Deutschland ver
lassen; doch behielt er sein Stammland Braunschweig, in dessen Haupt
stadt noch jetzt ein eherner Löwe vor der Domkirche steht, den-wr als
Zeichen seines Mutes errichtet hat.
4. Am Abend seines Lebens unternahm der ritterliche Kaiser noch
einen Kreuzzug nach dem gelobten Lande. Es galt, in Jerusalem, das
wieder den Türken in die Hände gefallen war, die christliche Herrschaft
herzustellen. An der Spitze eines zahlreichen Heeres zog der greise Held
aus nach dem Morgenlande. Aber er sollte das Ziel seiner Kreuzfahrt
nicht erreichen. Als er in Kleinasien auf seinem Streitroß einen Fluß
durchschwimmen wollte, rissen ihn die Wellen fort, und leblos brachten
ihn seine Gefährten ans Ufer. So beschloß Friedrich seine Heldenlauf
bahn. Unbeschreiblich war der Jammer seines Heeres, unbeschreiblich die
Trauer des ganzen Volkes, als die Kunde seines Todes nach Deutschland
gelangte. Das Volk konnte es lange gar nicht glauben, daß sein großer
Kaiser, der gewaltige Barbarossa, wirklich gestorben sei. Und noch lebt
er fort in der Sage. Im Thüringerlande, erzählt sie, tief unten im
Kyffhäuserberge sitzt er schlafend, das Kinn gestützt ans einen steinernen
Tisch, durch den sein Bart gewachsen ist. Den Gipfel des Berges um
kreisen Raben; endlich aber wird ein Adler kommen und sie hinweg
scheuchen. Dann erwacht der alte Barbarossa aus seinem Schlummer und
bringt die alte Macht und Herrlichkeit des deutschen Reiches wieder.
Andrä.
94. Heinrich der Löwe.
Zu Braun schweig steht aus Erz gegossen das Denkmal eines
Helden, zu dessen Füssen ein Löwe liegt; auch hängt im Dom
daselbst eines Greifen Klaue. Davon lautet folgende Sage: Vor
zeiten zog Herzog Heinrich, der edle Welf, nach Abenteuern aus.
Als er in einem Schiff das wilde Meer befuhr, erhub sich ein
heftiger Sturm und verschlug den Herzog; lange Tage und Nächte