Full text: Festschrift zum 150. Jubiläum des Staatlichen Friedrichsgymnasiums zu Kassel

mit dem ernsten Spruche: „Ora et labora« gezierten Aula, sondern im kleinen, 
anstoßenden Zeichensaal getanzt werden. 2lber beim Eröffnen des Tanzes trat 
sehr wohlmeinend Dr. Flügel an mich heran: „Ach, auf meine Verantwortung! 
Folgen Sie mir nur und führen Sie die Kolonne in die Aula!" So geschah 
es. Hirn tobte der Tanz noch ausgiebiger. plur noch drei Tage danach konnte 
Engelhard die Schule besuchen. Es hatte ihn die galoppierende Schwindsucht 
erfaßt, die ihn binnen wenigen Wochen dem Tode in die 2lrme warf. Täglich 
saß ich zeitweilig am Bette in Gegenwart der ältesten Schwester, die ihn 
sorglichst pflegte. 2lm 27. 2lpril traf ich ibn schlafend und hörte nur sein 
Röcheln, dem er am nächsten Tage erlag. Das ganze Gymnasium fühlte den 
Schlag mit. Am ). Mai geleiteten ihn die oberen Klaffen und die Kompanie 
der Schutzwache, der er angehört hatte, zu Grabe; wir sangen mit Musik 
begleitung drei Verse eines Thorals. 2lußer dem Pfarrer hielt der Religions 
lehrer der Klaffe Dr. Matthias eine ergreifende Ansprache, die ich hier bei 
füge, ich selbst aber schrieb ein stilles Gedächtniswort in die Sammlung 
meiner wenigen poetischen Ergriffe. 2lls ich wenige Tage später dem Direktor 
die oben erwähnte Geburtstagsrede hielt, konnte es nicht fehlen, daß ich darin 
unserer Trauer um Engelhard Erwähnung tat. 
Ihren Abschluß erhielt die Schulzeit am Ende desselben Semesters durch das 
Abiturienteneyamen. Dasselbe fand schriftlich am 2j. August in Griechisch 
und Geschichte, am rr. August im deutschen Aufsatz, am r;. in Mathematik, 
am 24. im Lateinischen statt. Um meine 2lrbeiten herzustellen, nutzte ich für 
keinen Gegenstand die dafür bestimmte Zeit voll aus; für den deutschen Auf- 
satz, der die Ursachen, warum den Römern die Unterjochung Deutschlands 
nicht gelungen, behandeln sollte, und ebenso für das lateinische Eyerzitium 
genügten mir zweidreiviertel statt der gewährten fünf Stunden. Die mir, 
soweit gesetzlich zulässig, erteilte Dispensation von der mündlichen Prüfung, 
wofür der 2lusfall der schriftlichen Arbeiten maßgebend war, erstreckte sich 
auf Griechisch, Lateinisch, Deutsch, Geschichte und Mathematik. Die 
Dispensation wurde mir kundgetan am 3. September, am 12. fand die münd 
liche Prüfung statt in Religion, Französisch und Physik; sie währte eindrei 
viertel Stunden. Die Fragen wurden in Zetteln verlost. 
Das Abiturienteneyamen war jedenfalls das schwierigste und weitgreifendste 
Eyamen, das in meinem Leben an mich herantrat. Viel Sorge hat es mir 
nicht gemacht. Zwischen dem mündlichen und schriftlichen Teil desselben lag 
die Säkularfeier für Goethe am 26. August. Ich hatte in der 2lula die öffent 
liche Festrede über Götz von Berlichingen zu halten. Erst heute kommt mir 
zum Bewußtsein, daß es doch eine eigentümliche Zumutung an einen Abi 
turienten stellen hieß, angesichts seiner Prüfung eine solche Rede abzufassen, 
ste zu memorieren und zwischen schriftlicher und mündlicher Prüfung sie zu 
halten. Die Rede fiel so aus, daß mir der Tag durch die Worte, die ich zu 
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