Full text: Festschrift zum 150. Jubiläum des Staatlichen Friedrichsgymnasiums zu Kassel

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Direktor vor den Augen der Schüler. Stölzel, der immer alles wußte* (er war 
ein Musterschüler), erhob den Finger und gab die richtige Antwort." 
Dieser Vorfall ist meiner Erinnerung entschwunden, weniger ein anderer, 
der mir zwei tüchtige Obrfeigen zuzog. In einer Stunde des (Ordinarius der 
Ouarta oder Tertia (Dr. Schimmelpfeng) ließ sich plötzlich ein quietschender 
oder pfeifender Ton vernehmen; der Täter meldete sich nicht; der Lehrer 
drohte für etwaige Wiederholung ein paar Ohrfeigen an; trotzdem quietschte 
oder pfiff es noch einmal, und der Täter blieb wieder unentdeckt. Da wollte 
es mein Unglücksstern, daß ich, während der Lebrer sein Auge auf meine 
Bank gerichtet hatte, auf dem mit Ölfarbe angestrichenen Pult vor mir mit 
meinem Finger herfuhr, der vielleicht von der Hitze feucht war — es 
quietschte infolgedessen wieder; der Lehrer stürzte von seinem Ratbeder auf 
mich herunter, und ich batte meine Ohrfeigen weg. Vlach der Stunde mußte 
ich die -s^cfte der Rlaste dem Lehrer ins Haus tragen. Er brachte die Obr- 
feigen zur Sprache, hörte ruhig meine Darstellung des Falles an und glaubte 
meiner Versicherung, daß nur eine Unvorsichtigkeit meinerseits vorgelegen 
habe. So schieden wir in Frieden, aber die Obrfeigen blieben zeitlebens 
auf mir sitzen. 
Ein wirkliches Intereste an der Schule erwuchs mir erst in den oberen 
Rlasten, eigentlich erst in prima, feit es zur kursorischen Lektüre der Alten 
kam und der Geschichtsunterricht wie der Unterricht im Deutschen sich hob. 
In Odystee und Ilias brachten wir es dahin, daß wir obne jede Vorbereitung 
beliebige Stellen alsbald vom Blatte ab deutsch vortrugen. Auch an platos 
Gespräche ging es schließlich beran. Tibull und Tatull waren Lieblingsdichter 
des Direktors, machten uns aber gleich Tacitus und Livius ziemliche Schwie 
rigkeiten. So interestant ich Ovid fand, so langweilig Virgil; ich begriff nicht 
und begreife es auch heute noch nicht, wie der Dichter so viel Furore im 
mittelalterlichen Italien machen konnte. Obenan stand der Unterricht in Ge 
schichte, dann der in Deutsch (Literatur wie Stil) und in Matbematik bei den 
drei ausgezeichneten Lebrern Flügel, Rieß und Grebe, denen alle Schüler 
mit großer Anhänglichkeit zugetan waren und auch an ibnen als echten 
deutschen Männern emporsahen. Ich glaube kaum, daß ein besterer, ja nur 
ein gleich guter Geschichtsunterricht an irgendwelchem Gymnasium je gegeben 
worden ist. Der Lebrer trug frei vor, die Schüler schrieben (von Ouarta an) 
nach; ich besitze und benutze die Hefte, welche die ganze Geschichte ein 
schließlich der neueren Geschichte umfasten, beute noch. Darin steckt die 
Grundlage für den mir eingepflanzten geschichtlichen Sinn. Ihn danke ich 
Dr. Flügel, babe ihm das auch in späteren Jahren geschrieben und manche 
Zeile von ihm erbalten, in der er sich desten freute. Einen Brief von ihm nach 
* was mir übrigens keineswegs erinnerlich ist, und was ich mir auch niemals eingebildet 
habe.
	        
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