12.Kapitel
Regierung und Volk und der liberale Gedanke.
In der E.Z2. (Nr.52) heißt es: "Zu den inneren Hinder=
nissen der nationalen Kulturevolution aber zählen wir
vornenmlich das moralische Mißverhältnis zwischen Re=
gierungen und Volk", und in einem Aufsatz der Politi=
schen Ännalen schreibt Murhard unter der Überschrift:
"Die jüngste Vergangenheit und die nahe 4ukunft" (Pol.
Ann. 6/1 ff, und S.47): "Vielleicht hat in keinem Jahr=
hundert Deutschland soviel gefürchtet und gehofft, ist
so vor- und so kleinlaut, so fromm und so freigeiste=
risch, so vornehm und gemein, so arm und so reich, so
einfältig und so gelehrt gewesen, als in einem Jahrzehn
von 1812 bis jetzt". Dabei findet er, daß diese Erschüt
terungen, die nachgerade alle Staaten Europas ergriffen
haben, nichts anderes als die Fortsetzung der franzö=
sischen Revolution sind. Indem er ihr Grundproblem auf=
sucht, handelt er zugleich das seiner Zeit ab; es ist
das Verhältnis von Fürst, bezw. von Regierung und Volk.
Der mit viel Begeisterung und soviel Irrtum aus den
Freiheitskriegen heimgebrachte Glaube, auf Grund der
militärischen Leistungen auch die innerpolitischen
Angelegenheiten regeln zu dürfen und zu müssen, erschöp
te auf reichlich zwei Jahrzehnte hin den Inhalt des
ganzen Verfassungslebens mit dieser erstmalig durch
die französische Revolution in vollstem Umfang ihrer
Schärfe aufgeworfenen Frage. An ihren Lösungsversuchen,
teilweise leidenschaftlichster Art, bildete sich ebenso
der Liberalismus zu politischen Denkformen, wie auch
das deutsche Volk hierbei mittelbar seine erste durch=
greifende politische Schulung empfing.
Für 4urhard sind die Forderungen der französischen Re=
volution notwendig gewesen angesichts der "Fortschritte
des. menschlichen Geistes", der "Bildung aller gesell=
schaftlichen VerBältnisse" und des Zustandes überhaupt,
"in welchem sich Frankreich und die übrige Welt befand"
(Pol.Ann. Bd.6,5). Die Frage ist nur, ob jener Weg des