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Wir haben es in unsern Tagen vielfach leichter bei unserer Kir-
chenarbeit als jene und ihre Mitarbeiter. Auch um desswillen dürfte es
nützlich und heilsam sein, der Geschichte der Kirchenvisitationen des
vorigen Jahrhunderts nachzugehen. Danken wir Gott, dass er es uns
leichter gemacht als unsern Vorfahren, uns besser gerüstet hat als sie
zu ihrer Zeit, der Rohheit und Zuchtlosigkeit, Widerspenstigkeit, Un-
wissenheit und Thorheit, die sich wider den Herrn und seine Gemeinde
erhebt, entgegen zu treten. Freilich hat sich in unsern Tagen andrer-
seits eine Macht wider die Kirche Christi erhoben, von der die gute
alte Zeit noch nichts wusste, aber neue Gaben und Kräfte legen auch
neue Anforderungen und Verpflichtungen der Militia Christi auf. Im
Hinblick auf. dieselben den Mut verlieren, verzagen ist, wie die Ge-
schichte dem, der sie aufmerksam verfolgt, nur zu deutlich zeigt, un-
dankbar, gedankenlos, unnötig.
Also lassen Sie uns, meine lieben Herren Amtsbrüder, wenn wir
hin und wieder einmal unter der Last unserer Aufgabe seufzen, unter
Gottes Beistand’ fleissig neuen Mut, frische Lust schöpfen bei der Be-
trachtung kirchlicher Zustände, wie sich soiche bei den Kirchenvisita-
tionen in der sogenannten guten alten Zeit herausstellten!
Der Herr, der seiner Kirche kräftig weiter geholfen hat, wird auch
ferner über alle widerstrebenden Mächte den Sieg behalten und seine
Kirche mit ihm, jetzt und immerdar!
Es muss uns im höchsten Grade auffallen, dass unsere in Hin-
sicht auf das kirchliche Leben sonst so inhaltsreichen Pfarrei-Akten aus
dem 17. Jahrhundert bezügl. der Kirchenvisitationen nur dürftige Notizen
enthalten, und höchst beiläufiger Art, als hätten sie auf die Entwicke-
lung der Dinge wenig Einfluss ausgeübt. Es wird auch so gewesen
sein.*) Die Verwüstungen des 30 jährigen Krieges waren in unserm
Hanauer Lande, speciell in der oberen Grafschaft grenzenlos. Steinau
wurde anno 1634 gründlich zerstört. Pfarrer und Gemeinde zerstreuten
und salvierten sich, ein Jeder so gut als er geköntt. Erst im Jahre
1638 konnte mit vieler Mühe und Not ein geordnetes Kirchenwesen
wieder in Gang gebracht werden. Und als man sich endlich notdürftig
eingerichtet hatte, überfielen die Kriegsvölker 1646 abermals das arme
Städtlein, um unter A. sein Kirchenwesen dermassen zu parturbieren .und
zu zerstören, dass solche Trübsal fast unverwündlich gewesen ist, wie
der Chronist vermeldet. Dem benachbarten Schlüchtern ist’s nach Rull-
mann eher noch schlimmer ergangen. Aus den Trümmern des Neuen-
gronauer Pfarrhauses heraus wuchsen Bäume. Aller Orten war das
Kirchenwesen der Auflösung verfallen, — nur in Marjoss hinter den
Bergen war noch ein Pfarrer und eine kleine Gemeinde ungestört bei-
sammen,
*) Wie wir später hören werden, war es auch in der Tat so. Die Con-
vente, welche nachweisbar wenigstens in der unteren Grafschaft gehalten wurden,
besorgten die Visitationsgeschäfte, und zwar mit möglichster Gründlichkeit.