Die Pforte zu dem Werratale — was wir heute meinen, ist jene ernste
gotische Kapelle über der Brücke von Creuzburg. Gewiß träumt hier sehr
alte und sehr bewegte Erinnerung an Zeiten, die Creuzburg aufbauten, ver-
brannten, wieder aufbauten und wieder verbrannten und uns schließlich diese
schönen Reste zum stillen Nachfühlen alter Begebnisse hinterließen. Es waren
Zeiten, da die Thüringer Landgrafen, des Ritterlebens und des Sanges froh,
dieses Creuzburg als ihr schönes Eigentum schätzten und hochhielten, dem
Städtchen einen Glanz verliehen, von dem heute noch das Bild des Schlosses
redet, das sich im stillen Strome spiegelt; und dieses kleine Gotteshaus an
der Brücke, das kaum ein Wallfahrtsort geworden war für gläubige Herzen, als aus
ihm hellschmetternd die Stimme der Reformation erscholl. Der Zeiten Abbild scheint
der Strom, er zieht und zieht uns mit. Er schlägt seine Bogen, weiß nichts
vom graden Weg, er wandert. Das Tal wird eng und still, und alle Grüne
und alles Blau des Himmels versinkt im Wasser und strahlt zurück. Da sind
die Falkener Klippen, die sonderbar an der Uferstraße starren.
Bald wird es wieder frei und licht. Gehäuse sammelt sich am Berghang,
von Türmen überragt. Das ist Treffurt, das alte, und das sind die Zyklopen des
Normannsteins. Sie winken nicht fröhlich, die alten Grauen. Sie stehen gelassen
über der Zeit und dieser merkwürdigen Stadt wie eine Wache von Geharnischten.
Man denkt an Türme von Italien. Bei Siena in San Gimignano stehen solche
Türme und waren wie diese, Häuser der Gewalt. Normannstein. So wie Nor-
mannentürme sehen sie auch aus. Rauh und zweckvoll war ihre Zeit, da man
ein Priester oder ein Ritter sein mußte oder ein Bürger hinter festen Mauern,
oder man war ein Geduldeter, allenfalls ein Schützling. Es gab nur eine
Erlösung: das Gefühl der Macht. Aber was sollen uns die alten Ritterfehden
und Gewalt. Der liebe Herrgott hat die Welt so schön gemacht, keine Weis-
heit kann Vergangenes ergründen, ein dummes kleines Volkslied nur weissagt
verborgenen Sinn.
Wir steigen durch Treffurts Gassen hinab, die stürzend steil zu Tale fallen.
Wie macht man es hier im Winter bei Glatteis. Der Markt ist ein fesselndes
Ereignis. Eine Wasserleitung führt darüber hin. Man muß hindurch wie durch
ein Tor. Eine Mühle summt und rauscht. Das Rathaus steht schön und
gediegen da. Treffurt hat es mit der „Drei‘“. Drei Herren hatte es einmal,
die ließen ihr Wappen an dem Rathause zurück. Auch das ist vorrüber. Gute
Gasthäuser hat die liebe Stadt, die im Mai ganz in Blüten gebettet ist. Hier
kann man einmal eine Woche verträumen, in Stille und inmitten von vielen
Möglichkeiten zu immer neuer Wanderfahrt, Da ist der Stolz des Tales und
der große Herr, der „Heldrastein“. Der Oktobertag loht golden und blau über
dem weiten Tale, über Berge, Städte und Dörfer, die wie Nestlein sind. Man
wird ganz still und fromm hier oben, vor lauter Luft und Wind und Sonnenlicht.
Man fühlt sich wieder einmal den Unsterblichen verpflichtet, daß sie uns gerne
„Ihres eigenen, ewigen Himmels
Mitgenießendes, fröhliches Anschaun
Eine Weile gönnen und lassen.“
Ein molliges Rasthaus empfängt uns friedlich auf dieser Höhe. Es entläßt
uns wieder in Wind und unbekannte Weite. Wir steigen zu Tal, um ein neues,
seltsames Wesen von einer Stadt zu suchen, das Wanfried heißt. Der Name
schon deutet auf deutsches Wesen und auf hohes Alter. Das erste, was auf
uns hier wirkt, ist Zauber edlen Fachwerkes, der Ausdruck einer ungemein
anständigen Baugesinnung, für deren innerstes Wesen wir kaum noch Ver-
ständnis aufbringen können, weil es uns fremd geworden ist, im Handwerk
etwas von jenem beinahe priesterlichen Ernst zu spüren, die die Überlieferung
vom Vater auf den Sohn mit sich brachte. Wir reden große Worte, und alles