Lieber Ludwig. Unser Briefwechsel droht schon wieder in Stocken zu gerathen, und wenn ich nicht
irre, so ist an Dir die Reihe zu schreiben. Das thut aber nichts zur Sache, ich mache mir selbst
Vorwürfe darüber, daß ich Dir solange nicht schrieb. Es geht mir jetzt recht gut. Ich bin
beÿ einer Comission zur Bekleidung der Rhein-Armen angestellt, habe viel zu
thun und bin mit meinen Umgebungen zufrieden. Einquartirt werde ich, aber nicht
verpflegt. Nun glaubst Du wohl, ich würde mich da haben einquartieren lassen, wo ich die
hübschen Gesichter an den Fenstern gesehen hätte; darüber bin ich aber hinaus.
Mein erstes Quartier war beÿ einer alten ungeheuer dicken Frau, die von Fett kaum
den Kopf bewegen kann und beÿ ihrer sehr altmodischen Tracht mir einmer als ein
Bild vorkam. Dreÿ ihrer Söhne sind Katholische Geistliche und an diesen sehr wohl be-
leibten, dick und hohlköpfingen Himmelscompetenten und an ihrem frischen Appe-
tit vorzüglich nach Wein habe ich recht meine Freude gehabt. Ich machte aber doch, daß
ich fort kam, denn das Haus liegt in der regsten Strase, und die gegenüberwohneden
Schuster hämmerten mit einem Nagelschmiedt in die Wette. Selbst des Nachts gab es
oft Ausrufe, denn schräg gegenüber steht ein Haus, wo Freuden gesucht und gewöhnlich Lei-
den gefunden werden. Jetzt bin ich einem […] einquartiert, der ein sehr wohlhaben-
der und gebildeter Mann ist und weder Frau noch Kinder hat. Ich esse und trinke mit
ihm gegen Vergütung sehr einfach und besser als ich hier irgendwo aß, und was das
spassigste ist, mit dem Gesellen und der Magd an einem Tische. Diese Leute ist sind
seit länger als 20 Jahren beÿ ihm so wie auch eine gar häßliche Haushälterin. In der
Mitte dieser Leute, wo bürgerliche Patriarchalität noch herrscht befinde ich mich recht
wohl, denn ich habe mir oft vorgenommen, daß wenn ich einmal Landwirth wäre, das Gesin-
de an einem Tische mit mir essen sollte. Nach guter deutschen Art wird vor jeder Mahl-
zeit gebätet, und zwar nicht laut, sondern jeder nach seiner Art. Der Geselle ist katholisch,
bewegt immer die Lippen und sieht sich dabeÿ in der Stube um, und dieser unbedeutende
Umstand gibt doch zu tiefen Betrachtungen Anlaß, denen ich mich für meine Person jedoch
möglichst enthschlage. – Ich wünsche nicht, daß ich Dich mit diesen Kleinigkeiten langweilen, die
großen, wichtigen Neuigkeiten, die man jetzt ängstlich erwartet, sind zwar interessanter,
aber auch sehr Kostbar. Vor einigen Tagen habe ich mal wieder getanzt und bin recht lustig
gewesen. Schreib mir doch recht viele Neuigkeiten von Cassel. Den Tod Deiner lieben Tante
hat mir K. gemeldet. Es ist ja einmal unsere Bestimmung, daß Freude und Leid abwechseln,
ich