Full text: Brief von Franz Engelhard an Ludwig Emil Grimm

Lieber Ludwig. Unser Briefwechsel droht schon wieder in Stocken zu gerathen, und wenn ich nicht

irre, so ist an Dir die Reihe zu schreiben. Das thut aber nichts zur Sache, ich mache mir selbst

Vorwürfe darüber, daß ich Dir solange nicht schrieb. Es geht mir jetzt recht gut. Ich bin

beÿ einer Comission zur Bekleidung der Rhein-Armen angestellt, habe viel zu

thun und bin mit meinen Umgebungen zufrieden. Einquartirt werde ich, aber nicht

verpflegt. Nun glaubst Du wohl, ich würde mich da haben einquartieren lassen, wo ich die

hübschen Gesichter an den Fenstern gesehen hätte; darüber bin ich aber hinaus.

Mein erstes Quartier war beÿ einer alten ungeheuer dicken Frau, die von Fett kaum

den Kopf bewegen kann und beÿ ihrer sehr altmodischen Tracht mir einmer als ein

Bild vorkam. Dreÿ ihrer Söhne sind Katholische Geistliche und an diesen sehr wohl be-

leibten, dick und hohlköpfingen Himmelscompetenten und an ihrem frischen Appe-

tit vorzüglich nach Wein habe ich recht meine Freude gehabt. Ich machte aber doch, daß

ich fort kam, denn das Haus liegt in der regsten Strase, und die gegenüberwohneden

Schuster hämmerten mit einem Nagelschmiedt in die Wette. Selbst des Nachts gab es

oft Ausrufe, denn schräg gegenüber steht ein Haus, wo Freuden gesucht und gewöhnlich Lei-

den gefunden werden. Jetzt bin ich einem […] einquartiert, der ein sehr wohlhaben-

der und gebildeter Mann ist und weder Frau noch Kinder hat. Ich esse und trinke mit

ihm gegen Vergütung sehr einfach und besser als ich hier irgendwo aß, und was das

spassigste ist, mit dem Gesellen und der Magd an einem Tische. Diese Leute ist sind

seit länger als 20 Jahren beÿ ihm so wie auch eine gar häßliche Haushälterin. In der

Mitte dieser Leute, wo bürgerliche Patriarchalität noch herrscht befinde ich mich recht

wohl, denn ich habe mir oft vorgenommen, daß wenn ich einmal Landwirth wäre, das Gesin-

de an einem Tische mit mir essen sollte. Nach guter deutschen Art wird vor jeder Mahl-

zeit gebätet, und zwar nicht laut, sondern jeder nach seiner Art. Der Geselle ist katholisch,

bewegt immer die Lippen und sieht sich dabeÿ in der Stube um, und dieser unbedeutende

Umstand gibt doch zu tiefen Betrachtungen Anlaß, denen ich mich für meine Person jedoch

möglichst enthschlage. – Ich wünsche nicht, daß ich Dich mit diesen Kleinigkeiten langweilen, die

großen, wichtigen Neuigkeiten, die man jetzt ängstlich erwartet, sind zwar interessanter,

aber auch sehr Kostbar. Vor einigen Tagen habe ich mal wieder getanzt und bin recht lustig

gewesen. Schreib mir doch recht viele Neuigkeiten von Cassel. Den Tod Deiner lieben Tante

hat mir K. gemeldet. Es ist ja einmal unsere Bestimmung, daß Freude und Leid abwechseln,

                                                                                                                                              ich

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