Full text: Brief von Franz Engelhard an Ludwig Emil Grimm

all, wo man sich schlecht gegen das Militair betrüge, mit der größten Strenge verfahren

würde. Bisher wurden die Kriege gegen die Fürsten und gegen deren Bauern geführt; warum

soll man das nicht jetzt vorzüglich gegen Napoleon thun, der als Usurpator blos durch das

Militair herrscht. Gottlob ist man in Europa noch nicht auf den Gedanken gekommen, den

Gefangenen oder auch den Knaben im Feindeslande die rechte Hand abzuhauen oder wenigstens

zu lähmen – doch genug davon.

Es geht mir aber so, wie Dir, ich habe an keiner Arbeit mehr Lust und Freude. Sobald ich

irgend etwas über mein künftiges Treiben beschliesse, werde ich es Dir mittheilen.

In Bourdeaux sollen schon viele deutsche Kaufleute leben; wenn man nur Deinen Bruder

Karl in Ruhe seine Stelle entreten läßt. Descoudres war 8 Jahr zu Çette und ist gar sehr fran-

zosirt; Karl hat schon Eigenthümlichkeiten genug und wird daher die französischen so leicht nicht

annehmen.

Den Professor Görres habe ich zweÿmal besuchen wollen, ihn aber nicht zu Hause getroffen.

Ich bin ihm recht gut und lese seinen Merkur sehr gern. Der letzte Aufsatz über Hessen ist

sehr schön und wahr. Ich kann aber aus dem Deutschen Fürstenbunde nicht klug werden: entweder

sollte man Görres ein Dipplomatischen Wirkungskreis geben, oder seinen erstlichen Wor-

ten und Rathschlägen Gehör, oder aber ihm alles fernere Schreiben verbieten. Das letztere

wäre freilich die schlechteste Marsregel. Geschäftsmänner nach der alten Welt nennen ihn

einen Deutschen Jacobiner, und die Leute haben nach ihrer Art Recht. Die gebildete Classe der

Unterrthanen werden durch das erwähnte Blatt immer unzufriedener mit den Fürsten; die

Fürsten aber wenn sie nicht nachgeben wollen, immer mistrauischer; die Sache aber dadurch, wenn

die Stände sich nicht im Notfalle beÿ dem Kaiser beschweren können, viel schlimmer. Der Deutsche

Mann am Rhein wird kälter für die Deutsche Sache, wenn er hört oder liest, daß der Deutsche

Mann an der Weser oder an der Elbe /in Hannover/ keinesweges Ursache hat mit den Folgen

der glücklichen Vertreibung der Franzosen ganz zufrieden zu seÿn, um so mehr da diese Art von

Beschwerden unter der französischen Herrschaft, abgesehen von aller ihnen übrigen Schändlich-

keiten, gehoben war. Alles Menschliche ist unvollkommen! leider können wir uns dabeÿ nicht

so ganz beruhigen, wenn es so leicht scheint, manches fehlerhafte zu verbessern.

Daß Du lieber Schauspiele aufführen siehst als liesest, ich aber oft letzteres lieber thue, liegt

wieder in der Natur der Sache. Dich interessirt die äussere Darstellung und die Kunst mit welcher

der Schauspieler den Character seiner Rolle auffaßt und in das Leben überträgt; Du suchst

Ideale zu Bildern, welche Die Gemüthsverfassung jedem Kenner sofort dargstelten – mich inter-

(seitlich auf der rechten Seite)

essirt aber vorzüglich der Charakter, welchen der Verfasser der handelnden Personen beÿlegt, und wie er dieselben als Menschenkenner beÿ

den verschiedenen Ereignissen handeln läßt. Wenn das Stück gut aufgeführt wird, so sehe ich es freilich lieber als ich den todten Buchstaben lese,

und darin sind wir derselben Meinung; dann mußt die Täuschung so weit gehen, daß wir auf einige Zeit die Wirklichkeit vor uns zu haben glauben.

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