Full text: Brief von Franz Engelhard an Ludwig Emil Grimm

Düsseldorf den 23ten April 1815.

Weil Du mir, guter Ludwig, gleich im Anfange Deines letzten Briefs ein so großes Compliment machst,

so setzt ich mich schon wieder an den Schreibtisch um mich mit Dir zu unterhalten. Alles Oeffentliche

was ich von Kassel höre, gefällt mir sehr wenig, und darin liegt eine Art von Trost für mich,

wenn ich mich manchmal dorthin zurückwünsche. Jetzt werden doch die Feldregimenter ohne Zweifel

marschirt seÿn. Mein Onkel wird, wie ich in der Frankfurter Zeitung las, die Truppen befehligen.

Gott gebe seinen Segen dazu. Er kann wohl leicht mehr Feldherrntalent haben, als der Kurprinz;

allein ich wünschte ihm, daß er 20 Jahre hinter sich werfen könnte. Daß er sich die Liebe und das Zu-

trauen der Soldaten erwerben wird, daran zweifle ich nicht. Wenn ihn der Alte nur nicht zu

sehr die Hände bindet. Es scheint noch nicht bestimmt zu seÿn, zu welcher Armee die Hessen stosen

werden; hoffentlich zu der Blücherschen.

Du hast mich mit dem Ausbruche deines Mitleids mit dem armen Landmann recht er-

quickt. Der Bauer mag wohl im Allgemeinem rechtschaffener und frömmer seÿ als der Städter,

allein das mag wohl in der Natur der Sache liegen. Die Wiege, in welcher der Mensch nachdem er sei-

nen Pflanzenzustand unter dem Mutterherzen verlassen hat, gelegt wird, entscheidet doch ge-

wöhnlich über sein künftiges Leben und daher läßt dich sehr schwer der eigentliche sittliche Gehalt

des Fürsten, des Edelmanns, des Bürgers und des Bauern bestimmen.

Darin hast Du aber wohl Unrecht, daß Du glaubst, in Frankreich seÿ alles ohne Unterschied verdor-

ben, schlecht und verrucht; der gewöhnliche Bürger und Bauer liebt dort wie überall den Frieden und

die daraus folgende Sicherheit das Eigenthums, und ist mit jedem nur erträglichem Gouvernement

zufrieden. Alles was dort vorgeht, kommt mir ganz natürlich vor und beweiset keine vorzüg-

liche Schlechtigkeit der Franzosen als Natur. Das Militair hat freÿlich den König ehrlos verlassen,

da das aber von allen geschehen ist, so wird diese Wortbrüchigkeit fälschlich für Bürgertugend

ausgegeben. Ruhmsucht und Eigennutz auf der einen Seite, und Furcht auf der anderen Seite haben

hauptsächlich diese Veränderung der Dinge hervorgebracht. Ich kann aber der Meinung derer,

welche Verwüstung mit Feuer und Schwert gegen Frankreich predigen, nicht beÿstimmen; und glaube,

daß man viel besser thäte, statt, wie Justus Gruner in einer Proclamation gethan, den Franzosen

mit Verwüstung ihrer Hauptstadt /: Neue Babÿlon/ - und doch hat Gruner zu Coblenz eine franzö-

sche Coquette geheÿrathet – zu drohen, derselben Sicherheit des Eigenthums und Schutz gegen alle

Gewaltthätigkeiten der Soldaten zu versprechen; dabeÿ verstände sich jedoch von selbst, daß über

                                                                                                                                                       all

(seitlich auf der rechten Seite)

Lebe wohl lieber Ludwig! ich mag nicht noch ein Blatt zu beschreiben anfangen, denn ich weiß nichts mehr. Deine Geschwister
seid herzlich von mir gegrüßt; auch die Dortchen Wild als Eurer Wahlschwester.             Franz E.

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