Full text: Zissel (1976)

Da,mitten in der Hochblüte der Badestuben trat ein Ereignis ein, 
das ihnen über Nacht den Todesstoß versetzte: Die Syphilis brach 
über Europa herein. Sie kam als erstes Geschenk des neuentdeck- 
ten Amerika mit den heimkehrenden Schiffen des Kolumbus nach 
Spanien. Schlimmer als die Pest lief sie über alle Grenzen und 
gelangte kurz nach 1500 auch nach Deutschland. Sie wirkte auf 
den biologisch völlig unvorbereiteten damaligen Europäer meistens 
tödlich. Unfaßbar schien den Menschen, daß die neckischen Spiele 
in den Badehäusern Krankheit und Tod bringen sollte. Sie erahnten 
plötzlich, daß sie wie im Paradiese gelebt und geliebt hatten, ohne 
Angst und ohne Furcht. Mit einem Schlage hörte das Baden auf. 
Aber es war zu spät. Die Syphilis hatte längst in alle Kreise Ein- 
gang gefunden. Nicht nur der Bürger und der Hofjunker wurden von 
ihr gepackt, auch vor dem Landgrafen selbst machte sie nicht halt. 
Es ist bekannt, daß Landgraf Philipp der Großmütige, der Urenkel 
des Badehausgründers, unter ihr ebenso litt, wie seine halbe Hofge- 
sellschaft. Unter diesen Umständen war es natürlich vorbei init dem 
fröhlichen Bade-Zeitvertreib. 
Das finstere Mittelalter wird erst jetzt an seinem Ende wirklich 
finster. Die sogenannte Neuzeit beginnt mit Angst und Aberglauben. 
Und genau das ist es, was uns glauben macht, erst wir hätten die 
Freuden des Badelebens erfunden. 
Deshalb rufe ich Euch diesmal zu: 
Freut Euch mit den Fröhlichen, 
damals und heute erst recht! 
In diesem Sinne, auf zum Zissel, ab nach Kassel! 
G ünther. Lohrmann 
Quellen: 
Paul Heidelbach: 
Joachim Fernau: 
Kassel, Bärenreiter Verlag 1957 
Und sie schämten sich nicht 
Herbig Verlag München
	        
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