Doch wer annimmt, unsere Väter, diejenigen, die wir oft ein
wenig abwertend die "Alten" nennen, hätten nichts zu lachen
gehabt, irrt sich gründlich. Alles, was wir täglich erleben, ist
irgendwie schon einmal dagewesen. Unsere Unbekümmertheit
und Offenherzigkeit" mit der wir beispielsweise dem Badesport
huldigen, würde den "Alten", eben unseren Ur-Ur-Ur-Großvä-
tern nur ein mildes Lächeln abnötigen. Er würde nach dem Be-
such eines Kasseler Hallenbades an einem der textilfreien Tage
zu unserem Ur-Ur-Ur-Großonkel vielleicht gesagt haben: "Wie
phantasielos sind heutzutage doch die Leute, und so sittenstreng!"
Lassen Sie sich deshalb in jene Zeiten zurückversetzen, als das
Baden "in" war. Wir wissen leider nur von wenigen der gewiß
g
zahlreichen Kasseler Badestuben, wo sie lagen. Da gab es eine
in der Mittelgasse, eine auf dem Brühl, in der Fuldagasse lag
eine und die Bädergässe in der unteren Neustadt erinnerte an
eine Vierte. Sicherlich gab es noch eine ganze Reihe weiterer
Badestuben. Aber eins wissen wir sehr genau, was man im 15.
Jahrhundert so alles unter "Baden" verstand. Wenn jemand sich
mit einem anderen treffen wollte, verabtedete er sich mit ihm in
der Badestube. Es war so, als würde man heute sagen: "Treffen
wir uns morgen nachmittag im Caf& Däche. Da gibt es einen guten
Kaffee, eine herrliche Erdbeertorte, der Ober weiß alle Neuigkeiten
und wir können die ganze Hautevolee von Kassel treffen".
Schon den alten Chatten hatte das Baden viel Freude gemacht. Es
war mehr als das Sonnabendabenabschrubben. Der Fluß war eine Er-:
gänzung ihres Sportplatzes. Der Unrat witternde Bonifatius hatte dem
ein Ende gemacht. Erst die Kreuzfahrer brachten das Baden als feine
orientalische Sitte mit nach Hause, ausgerechnet von den sonst so
verachteten Heiden.