Full text: Zissel (1939, 1949-1951)

Damit steht bis zum nächsten Male endgültig fest, daß unsere Zeit, daß 
wir selbst den Zissel erfunden haben. 
Heil uns! 
Die Kunst-, Sport- und Gartenstadt, die beinahe Bundeshauptstadt und 
Bundesjustizstadt geworden wäre, und die davon träumt, Stadt der Garten- 
schau zu werden: unser schönes Kassel ist also unwidersprochen die Stadt 
des Zissels. 
Sie zeigt sich dieser Ehre würdig. Sie feiert. Und wählte als Symbol den 
Hering. Zum ersten, um symbolisch mit diesem fremden Fisch ihre Welt- 
aufgeschlossenheit zu beweisen, zum anderen, um tatsächlich den in Kassel 
nicht eben seltenen Kater zu bekämpfen. 
Und mit der uns in Jahrhunderten anerzogenen Gründlichkeit verzehren 
wir diesen Hering nicht nur nach dem Feiern, sondern auch schon vorher. 
Demnächst wieder in diesem Theater. 
Fullewasser, Fullewasser, hoi, hoi, hoi! 
Keiner kann . . 
über seinen- eigenen Schatten springen. Und dennoch sollte der Gries- 
grämigste, jener, der das Leben nur mit tierischem Ernst zu meistern glaubt, 
mal den Mut aufbringen und den Sprung über Blasiertheit, Abgeklärtsein 
und Borniertheit wagen und sich einem Frohsinn ergeben, der aus einem 
wirklich frohgemuten Herzen entspringt. Für diesen Frohsinn gibt es nur 
eine Gebrauchsanweisung: Selbst den schwärzesten Seiten des Lebens eine 
heitere Note abgewinnen! 
Wenn man mit dieser Losung in den fünfundzwanzigsten Kasseler Zissel 
startet, braucht der Mammon nicht das Fundament für diesen Start zu sein. 
Es muß nur der gute Wille vorherrschen, dem bunten, vielfältigen Leben 
des Zissels etwas an Kurzweil, Freude und ungezwungener Fröhlichkeit 
abzugewinnen: „Mä honn‘s, mä konn‘s!“ 
Und wenn die Herren „Wichtig“ und „Stand“ dieses „Soll und Haben“ an 
innerem Bereitsein zur Fröhlichkeit nicht besitzen, so genügt das Abstreifen 
des mokierten Lächelns über das bewegte Treiben und den frohen Kunter- 
bunt, dem sich auch Erwachsene zwischen Marställer Platz und dem Fulda- 
damm in Ausgelassenheit ergeben können. „Zisseln“ errichtet für vier 
Augusttage eine Demarkationslinie zwischen dem Alltäglichen mit all seinen 
Sorgen und Nöten. „Zisseln“. — ein Wort, für das die Kasseläner noch keine 
klare Ausdeutung wissen — sollte ein jeder, denn nur die Einseitigen, einem 
Volksfesttreiben abhold, können nicht über sich selbst lachen, sie‘ sind 
lieblos — oder sogar dumm! Aber beides wollen die „Zisselianer“ nicht 
sein; sie huldigen der Ausgelassenheit und könrien sogar über sich selbst 
lachen! 
„Ich werd‘ mich. dem Zissel ergeben!“ 
Paul Brewka.
	        
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